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Financial-Times-Weekend-Chef Russell: Wie Print-Geschichten auch online funktionieren

Financial-Times-Weekend-Chef Russell: Wie Print-Geschichten auch online funktionieren Alec Russell. Foto: Rick Pushinsky

Die „Financial Times“ ist weltweit ein Vorbild für die digitale Transformation einer Zeitung. Im Interview mit „kress pro“ verrät Alec Russell, warum sich eine gedruckte Zeitung dennoch auszahlt.

Berlin – Was Redaktionen von der „Financial Times“ lernen können, verrät Alec Russell, Chef von „FT Weekend“ im Interview mit Susanne Lang für die aktuelle Ausgabe von „kress pro“.

 

Die „Financial Times“ hat mittlerweile mehr als 75 Prozent Digital-Abonnenten, Tendenz steigend. Warum machen Sie überhaupt noch eine Zeitung?

Alec Russell: Die Zukunft ist selbstverständlich digital, aber es gibt weiterhin eine Nachfrage für Print. Die Zahl unserer Wochenend-Leser ist trotz digitaler Revolution konstant geblieben. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen, einer ist das unterschiedliche Lese­interesse. Werktags informieren sich die meisten online. Am Wochenende nutzen die Leute zwar auch ihre Geräte, aber sie haben mehr Zeit und tauchen etwas tiefer in die Lektüre ein. Für sie bieten wir ein qualitativ hochwertiges Produkt mit großartigem Journalismus an. Dafür bezahlen die Leute auch.

 

Das heißt, Sie bedienen mit der Zeitung dieselbe Zielgruppe, nur andere Lesebedürfnisse?

Nun ja, es ist kein Geheimnis, dass Printabonnenten im Durchschnitt etwas älter sind. Das ist auch bei uns so. Darin sehe ich aber nicht unbedingt ein Problem. Wenn wir ein gutes Produkt machen, wachsen auch Abonnenten nach. Mit einer Kampagne versuchen wir gezielt, jüngere Leser zu gewinnen. Und ich bin immer wieder begeistert, wenn ich am Wochenende E-Mails von 20- bis 30-Jährigen bekomme, die mir mitteilen, was ihnen gefallen hat und was nicht. Aber klar, der Großteil der Abonnenten ist zwischen 40 und 70. Solange wir sie halten können und solange Zeitungen Werbeeinnahmen erzielen, sind Printprodukte auch marktfähig. 

 

Aufgrund der Corona-Krise sind viele dieser Einnahmen ausge­blieben. Wie geht es der „FT“?

Die Corona-Pandemie ist für das Newsgeschäft eine ambivalente Herausforderung: Einerseits ist die Nachfrage nach seriösen, glaubwürdigen Nachrichtenangeboten stark gestiegen. Wir haben starke Zuwächse bei den Digital-Abonnenten. Die Anzahl der Testabos hat sich in den ersten vier Monaten 2020 verglichen mit 2019 verdoppelt. Aber – und nun folgt ein sehr großes Aber – für das Zeitungsgeschäft bedeutet Corona nichts Gutes. Die letzten Monate waren sehr schwierig.

 

Weil Werbung fehlt?

Nicht nur. Die Auflage ist auch gesunken, schon aus dem einfachen Grund, dass viele Verkaufsstellen nicht mehr geöffnet sind und keine Bordexemplare mehr gelesen werden. Bei „FT Weekend“ aber sind die Verkaufszahlen in Großbritannien während der Krise um 2 Prozent gestiegen. Wir haben von Januar bis April mehr Ausgaben verkauft als im gleichen Zeitraum im vergangenen Jahr. Die Menschen sehnen sich nach Informationen, denen sie vertrauen können, und sie kaufen Zeitungen.

 

Bei der „FT“ und „FT Weekend“ arbeiten Print- und Onlineredaktion schon länger in einem integrierten Newsroom. Unterscheiden Sie überhaupt noch zwischen Online- und Print-Geschichten? 

Grundsätzlich würde ich sagen, dass digitaler Journalismus eine andere, informativere Tonalität hat. Umso interessanter ist eine Beobachtung, die wir in den letzten Jahren gemacht haben: Alle Geschichten, die am Wochenende in gedruckter Form veröffentlicht werden, funktionieren online wirklich gut. Unsere langen Erzählstücke, die über Wochen oder Monate recherchiert und sorgfältig bearbeitet wurden, sind die meistgeschätzten Artikel online. Diese Stücke führen auch dazu, dass Leser Abos abschließen. Das geht zum Teil sogar aus den Kommentaren unter den Texten hervor. Für guten Print- wie Onlinejournalismus gelten also dieselben Grundregeln: Man muss Hintergründe recherchieren, ausgewogen berichten, die Stücke brillant aufschreiben und relevante Themen abbilden.

 

Welche Geschichte hat zuletzt wirklich gut funktioniert?

Unsere „Weekend“-Titelgeschichte über den Aufstieg und Fall des Start-ups WeWork zum Beispiel. Wir haben sie in zwei verschiedenen Formaten veröffentlicht. In der Zeitung war die Geschichte über mehrere Seiten verteilt und opulent gestaltet. Zwei Tage vor Druck, Donnerstagmorgen, haben wir sie online veröffentlicht. Das halten wir bei den meisten Stücken so. Die WeWork-Geschichte war eine der beliebtesten von „FT Weekend“ online, nicht nur gemessen an der Anzahl der Leser, sondern auch an der Verweildauer. Aktuell ist unser Corona-Tracker das meistgelesene Stück aller Zeiten. Aber auch unsere „FT Weekend“-Geschichten sind sehr erfolgreich, unter anderem weil wir die Schlüsselgeschichten mit freiem Zugang anbieten. Yuval Hararis Essay Ende März über die Welt nach der Krise hatte mehr als sechs Millionen Seitenaufrufe und zählt zu den meistgelesenen und geteilten Stücken aller Zeiten.

 

Im aktuellen „kress pro“ gibt Alex Russell Antwort auf weitere Fragen: Wie man Print-Geschichten so gestaltet, dass sie auch online funktionieren. Mit welchen Kennzahlen die digitale „FT“ arbeitet. Ob Redakteure durch Datenanalyse überflüssig werden. Wie die „FT“ ihren Newsroom organisiert hat und welches neue Standbein sie sich zugelegt hat.

 

Tipp: Zum Thema „Wie Print in einen digitalen Newsroom passt“ spricht Alec Russell beim European Publishing Congress vom 4. bis 6. Oktober in Wien.