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KNA

60. Grimme-Preis : Große Themen und ein neuer Geschäftsführer

Trotz knapper Kassen wuchs die 60. Grimme-Preis-Verleihung über sich hinaus. Das lag vor allem an der überragenden Moderatorin Siham El-Maimouni, die nicht nur allen anderen, sondern sich selbst die Schuhe auszog.

Marl (KNA) – Die ganz großen Stars fehlten beim 60. Geburtstag des Grimme-Preises. Auch von den Damen und Herren Intendanten von ARD, ZDF und Deutschlandradio ließ sich nur Tom Buhrow vom WDR blicken. Alles andere wäre auch ein Affront. Buhrow ist der „Sitzintendant“ bei Grimme, schließlich liegt die Stadt Marl und damit das Grimme-Institut in seinem Sendegebiet. Doch auch wenn am vergangenen Freitag Persönlichkeiten wie Jan Böhmermann, der in den letzten Jahren auf eine Auszeichnung abonniert zu sein schien, fehlten, war die Jubiläumsshow etwas ganz Besonderes.

 

Und das hatte nicht nur, aber vor allem mit der Moderatorin zu tun. Siham El-Maimouni setzte mit ihrer ersten Preismoderation bei Grimme gleich von Anfang an Maßstäbe. „Wir feiern heute 60 Jahre Grimme-Preis. Ich weiß nicht, wie das bei Ihnen ist. Aber da, wo ich herkomme, sagt man dazu ‚Mashallah‘!“. Kurzes Stocken im Saal. „Ich komme aus Duisburg“, fuhr El-Maimouni nach dieser kleinen Kunstpause fort. Vor genau 60 Jahren ist auch ihr Vater als „Gastarbeiter“ aus Marokko nach Deutschland gekommen, und El-Maimouni erinnerte noch mal kurz daran, dass 1964 auch der Civil Rights Act in den USA die Rassentrennung zumindest formal abschaffte und in der DDR der erste Frauenkongress stattfand. Und so weit weg das heutzutage vorkommen mag: Die Themen sind alle noch de - mit Blick auf Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Sexismus sowie Hass und Desinformation im Netz heute erst recht und sie werden immer virulenter.

 

Über alle Ebenen am Puls der Zeit

Dass Kultur und auch das Kulturmedium Fernsehen dem etwas entgegenzusetzen hat, machten schon die Preisentscheidungen beim diesem 60. Grimme-Preis klar. Wohl noch nie war er so divers und über alle Ebenen am Puls der Zeit. „Sam - ein Sachse“ arbeitet Alltagsrassismus in der DDR und danach auf. Die schräge, junge Serie „Haus Kummerveldt“ mixt munter 19. Jahrhundert, weibliches Empowerment, Drogen und Pop. Die Doku-Trilogie „Einzeltäter“ macht noch einmal den Irrsinn klar, mit dem Sicherheitsbehörden und Polizei bei den Anschlägen von Hanau, München und Halle die politische Dimension und rechtsextremistische Zusammenhänge lange ignorierten. Es gab Preise für „Songs of Gastarbeiter“, die Rap-Doku „Straßenslang“ in der Kategorie Kinder und Jugend; ein Grimme-Preis ging 2024 für die besondere journalistische Leistung an Katharina Willinger, die aus dem ARD-Studio Istanbul über die Türkei und den Iran berichtet.

 

Mit Blick auf die Europawahlen im Juni passt sogar die „Besondere Ehrung“ des Deutschen Volkshochschulverband (DVV) dazu, auch wenn diese etwas behäbig und oldfashioned wirkt. Als offizieller Preisstifter bei Grimmes setzt der DVV alljährlich eine eigene Duftmarke - und am 9. Juni geht es um eine Richtungsentscheidung, die das „Projekt Europa“ bis zur Unkenntlichkeit verändern könnte. Mit „Heute in Europa“ hält das ZDF kompetent dagegen, da durften die Laudatio von DVV-Präsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer und der Dank von Sabine Räpple auch mal ein bisschen länger sein. Erstmals in der Grimme-Geschichte sind in diesem Jahr Preisträgerinnen in der Mehrzahl.

 

„The times, they are a changin“, ließe sich mit Bob Dylan singen, auch bei den schlimmen Ereignissen, wie dem Krieg in der Ukraine, der durch die Dokumentation „Kriegstagebuch einer Kinderärztin“ beim Preis gegenwärtig wurde. Und natürlich war nicht Bob Dylan in Marl, dafür aber wie schon im Vorjahre Helmut Zerlett und Band für die musikalische Begleitung zuständig.

 

Gut gelaunt und barfuß

El-Maimouni hatte dabei noch eine ganz andere Herausforderung zu meistern. Wie übergibt man beziehungsweise Frau sich selbst einen Preis? Denn die WDR-Modaratorin (u.a. „Titel, Thesen, Temperamente“) wurde für das „Sendung mit der Maus Spezial - Marokko-Maus“ ausgezeichnet, in der sie die Heimat ihrer Familie bereist. Also kam es kurzerhand zum fingierten Streit mit Sarah Bosetti, die gerade ihren Grimme-Preis für „Bosetti Late Night“ (Catchphrase: „Natürlich will ich eine woke Meinungsdiktatur errichten“) entgegengenommen hatte. El--Maimouni zog beleidigt ab und ihre hochhackigen Schuhe aus, meinte kess „dann moderier du doch weiter“. Und kam wenig später so gut gelaunt wie barfuß wieder aus der Kulisse. Auch das gab‘s bei Grimmes so noch nie.

 

Wer zum Sechzigsten dann noch bedeutungsschwangere Reden erwartet hatte, wurde angenehm enttäuscht. Es gab sie nicht. Oder höchstens in der Form, wie sie NRW-Medienminister Nathanael Liminski (CDU), bei seinem kurzen Auftritt ablieferte. Er werde „alles dafür tun, dass wir auch 120, 180 und 360 Jahre Grimme feiern“, sagte Liminski. Der Grimme-Preis sei „Horizonterweiterung in jeder Hinsicht“, und die Gesellschaft brauche mehr denn je „diese Marken der Orientierung“. Das Land NRW ist größter Geldgeber des in wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckenden Instituts, und Liminski auch Chef der Düsseldorfer Staatskanzlei. Liminski hatte Grimme schon zuvor eine „Fokussierung“ verordnet, womit in erster Linie die Medienpreise gemeint sind. Dass der Grimme-Preis für bewegte Bilder stattfand, der Grimme Online Award (GOA) bislang 2024 aber wegen der Finanzmisere aussetzen soll, hatte dabei auch Kritik auf den Plan gerufen.

 

Zum GOA äußerte sich Liminski in Marl nicht, dafür hatten die Gesellschafter des Instituts - neben dem DVV die Stadt Marl, die Film- und Medienstiftung und die Landesmedienanstalt NRW sowie WDR und ZDF - bereits am Tag vor der Preisverleihung eine wichtige Personalie verkündet: Ab sofort übernimmt Peter Wenzel, im Hauptberuf Jugendamtsleiter sowie Dezernent für Jugend und Familie im nicht weit von Marl entfernten Datteln, kommissarisch und ehrenamtlich die Grimme-Geschäftsführung. Die offiziell bis Ende April amtierende Institutsdirektorin Frauke Gerlach konnte, wie mitgeteilt wurde, krankheitsbedingt nicht an der Preisverleihung teilnehmen. Mit der Bestallung der künftigen Leitung wird nun in der zweiten Jahreshälfte gerechnet.

 

Finanzspritze vom Gesellschafter

Wenzel gilt als erfahrener Manager und Sanierer im kommunalen Bereich. Von 2006 bis 2017 hatte er auch den Kita-Zweckverband im Bistum Essen geleitet. Nun saß der SPD-Mann, der Fraktionsvorsitzender seiner Partei im Marler Stadtrat ist und für die Stadt Marl auch in der Gesellschafterversammlung des Grimme-Instituts sitzt, direkt neben dem CDU-Medienminister. Zumindest farblich vertrug sich das prächtig - beide kamen im dunkelblauen Anzug und weißem Hemd nebst weinroter Krawatte. Wenzels Job als Sanierer dürfte kein ganz leichter werden, doch immerhin eine Finanzspritze ist dem Institut schon sicher: Der bislang eher einer ideellen Trägerschaft verpflichtete DVV will, das kündigte Kramp-Karrenbauer auf offener Bühne an, sich nun auch finanziell engagieren. Wie der DVV am Abend während der Preisverleihung mitteilte, wird er für das Jahr 2025 finanzielle Mittel in Höhe von 100.000 Euro bereitstellen.

 

Wenzel, kommentierte seinen Blitz-Einstieg am Sonntag nach der Preisverleihung mit viel Wertschätzung für die Instituts-Mitarbeiter: „Als Interimsgeschäftsführer habe ich Gelegenheit erhalten, weitere Einblicke und Einsichten zu gewinnen“, schrieb Wenzel bei Facebook, dankte Liminski wie dem DVV und fuhr fort: „Dennoch: Ohne die vielen engagierten und klugen Mitarbeiter*innen des Instituts wäre der Preis nichts. Allen voran Miss Grimme Preis, Lucia Eskes, stellt alles über die Jahrzehnte gewachsene - mit kleinem Budget - wieder einmal in den Schatten. Mich hat das persönliche Engagement sehr beeindruckt. Alle ‚Grimme Mitarbeiter*innen‘ die vor Ort waren, haben Leidenschaft gezeigt. Dankeschön“, so Wenzel.

 

Dass Grimme trotz finanzieller Engpässe zu feiern versteht, bewiesen dann nach der Preisverleihung im Theater der Stadt Marl rund 400 Gäste bei der Aftershow-Party im Institut. Statt opulenter Buffets gab es Currywurst - natürlich auch vegan - und Kleinigkeiten, fokussiert wurde auf gute Getränke und Gespräche. Und getanzt wurde auch. „Mashallah!“, würde man nicht nur in Duisburg dazu sagen.