Vermischtes
KNA – Steffen Grimberg

Spione, China und der ganze Rest: Medien-Krimi um den „Daily Telegraph“ geht weiter

Der Verkauf des „Daily Telegraph“ entwickelt sich zum Polit- und Medienthriller. Wegen möglicher Einflussnahme aus den USA, den Emiraten und China könnte die Labour-Regierung den 500-Millionen-Pfund-Deal erneut prüfen.

London (KNA) – Der Verkauf des konservativen britischen Traditionsblatts „Daily Telegraph“ entwickelt sich immer mehr zum Medien-Krimi. Auch sechs Monate nach dem formalen Zuschlag an ein von der US-Investmentfirma RedBird Capital Partners geführtes Konsortium ist der 500-Millionen-Pfund-Deal noch nicht abgeschlossen. Aktuell muss Medien- und Kulturministerin Lisa Nandy von der Labour-Partei entscheiden, ob sie den Vorgang nochmals von den Wettbewerbs- und Medienbehörden überprüfen lässt – oder im Gegenteil deren einstweilige Verfügung kassiert, wonach RedBird Capital bis auf Weiteres keine Kontrolle über die Telegraph Media Group ausüben darf.


Offiziell erhielt das Konsortium den Zuschlag bereits im Mai, doch es dürfte noch dauern. Denn dass eine weitere Überprüfung kommt, gilt als sicher – was am früheren „Daily-Telegraph“-Chefredakteur Charles Moore liegt. Moore schreibt weiterhin eine Kolumne für das Blatt, und die von Ende Oktober hatte es in sich.


Die „Telegraph“-Redaktion recherchiert seit Langem engagiert in eigener Sache zum Verkauf des Blattes und zu den Käufern – was denen nicht wirklich gefällt. Wie Moore jetzt schrieb, soll der an RedBird Capital beteiligte US-Investor Gerry Cardinale gedroht haben, „gegen die Redaktion in den Krieg zu ziehen“. Zudem planten die neuen Eigentümer, den aktuellen „Telegraph“-Chefredakteur Charles Evans abzuberufen und durch einen Kandidaten zu ersetzen, der ihnen genehmer ist.
Parlament erlässt Vorschriften


Auch wenn Cardinale umgehend dementierte und in einem eigenen Beitrag für das Blatt schrieb, „wir würden nie die redaktionelle Integrität der Redaktion kompromittieren“, haben mehrere Aufsichtsräte der Telegraph Media Group jetzt das zuständige Ministerium für Kultur, Medien und Sport eingeschaltet. Denn der Verkauf der „Bibel der Konservativen“ hat in Großbritannien eine solche politische Dimension, dass das Parlament hierfür ganz konkrete Vorschriften mit Gesetzeskraft erlassen hat.
So sind die Käufer des Blattes verpflichtet, „alles ihnen Zumutbare zu tun, um maßgebliche leitende Mitarbeiter zu halten“ und „sicherzustellen, dass solche Mitarbeitenden nicht von ihren Positionen entfernt werden“. Zudem ist das zuständige Ministerium „über alle wesentlichen Vorgänge auf dem Laufenden zu halten“.


Diese in der britischen Presse bislang einmaligen Ansagen stammen noch aus einer Zeit, als der Käufer RedBird etwas anders aufgestellt war und den Deal mithilfe eines Fonds finanzieren wollte, hinter dem die Herrscherfamilie der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) stand. Die VAE haben eine schlechte Bilanz in Sachen Medienfreiheit; mehr noch wurde in London aber parteiübergreifend eine Einflussnahme auf die Blattlinie aus dem Nahen Osten befürchtet. Daher hatte die frühere konservative Regierung den Deal akribisch geprüft.


Labour liberalisiert Totalausschluss
Als Konsequenz wurde zusätzlich zu diesen Vorschriften sogar ein Gesetz erlassen, das ausländischen Besitz von britischen Presseverlagen generell verbot. Die neue, Labour-geführte Regierung von Premierminister Keir Starmer modifizierte diesen Totalausschluss wieder. Aktuell sind Beteiligungen von bis zu 15 Prozent erlaubt; in dieser Größenordnung soll auch weiterhin der VAE-Fonds IMI am Deal beteiligt sein.


Wie die „Financial Times“ in dieser Woche berichtete, werde nun die US-Investmentgruppe Apollo die entsprechenden Kredite für RedBird zur Verfügung stellen und die finanzielle Hauptlast des Deals schultern. Auch das dürfte eine neuerliche Prüfung durch die Regierung und die Medienregulierungsbehörde Ofcom wahrscheinlicher machen. Denn RedBird Capital und Apollo sind eng verflochten; Apollo-Gründer Gerry Cardinale ist auch Partner bei RedBird Capital.


Cardinale macht derzeit nicht nur die „Kriegserklärung“ gegenüber der „Telegraph“-Redaktion zu schaffen. Er hat außerdem den früheren „Financial Times“-Journalisten Matthew Garrahan als „Operating Partner“ für RedBird angeworben. Garrahan war bei der renommierten Wirtschaftszeitung für Strategie und Digitalisierung zuständig. Die Branchengerüchte, dass sich Garrahan als Nachfolger von „Telegraph“-Chefredakteur Charles Evans warmlaufen soll, wollen einfach nicht verstummen.


Der Finanzier und Chinas Chief of Staff
Und dann ist da noch John Thornton. Der Finanzier ist ebenfalls am Deal beteiligt und aktuell Aufsichtsratsvorsitzender bei RedBird Capital Partners. Thornton ist international gut vernetzt, besonders Richtung China. Wie der „Telegraph“ Ende Oktober im Rahmen seiner Recherchen zum Verkauf enthüllte, unterhält Thornton enge Kontakte zum früheren Pekinger Bürgermeister Cai Qi, der nicht nur ein hochrangiger Funktionär der Kommunistischen Partei Chinas ist, sondern heute als führendes Mitglied des Politbüros de facto als „Chief of Staff“ von Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping gilt.


Cai Qi soll aktuell auch in den eben geplatzten großen Prozess wegen vermeintlicher chinesischer Spionage gegen Großbritannien verwickelt sein. Nachdem britische Geheimdienstinformationen geleakt wurden, hatte die Staatsanwaltschaft die Klage fallen lassen. Qi steht unter dem Verdacht, Empfänger des geleakten Materials gewesen zu sein.


Doch der vor 170 Jahren gegründete „Daily Telegraph“ steht vor einer weiteren Herausforderung, bei der es weder um mögliche arabische noch chinesische Einflussnahme geht. Denn ein weiterer Partner von RedBird Capital ist der US-Investor und Oracle-Gründer Larry Ellison, der zusammen mit RedBird Capital und dem offiziell von seinem Sohn David geführten US-Medienkonzern Skydance im Sommer Paramount/CBS übernommen hat. Ellison gilt als großer Unterstützer von US-Präsident Donald Trump; als nächstes aufzukaufendes „Asset“ steht der US-Medienkonzern Warner Bros. Discovery auf seiner Wunschliste.


Vision „New York Times“ von rechts
Nach der Übernahme von Paramount/CBS wurde bei CBS News bereits die Chefredaktion neu besetzt. Hier führt künftig Bari Weiss die Geschäfte, deren gegen traditionelle Medien wie die „New York Times“ anschreibendes Substack-Angebot The Free Press jetzt auch mit RedBird Capital verbandelt ist. Im „Telegraph“ liest sich das aus der Feder von Gerry Cardinale dann so: „RedBird hat eine große Erfolgsbilanz, wenn es um Investitionen ins Mediengeschäft geht. Mit unserem Partner Skydance Media haben wir eben erst Paramount Global übernommen. Und letzten Monat kam The Free Press dazu, das von Bari Weiss gegründet wurde – der großen Verfechterin von freier Rede und unabhängigem Journalismus.“


Und was RedBird mit dem „Telegraph“ vorhat, legte Cardinale dann auch ganz unerschrocken offen: Der „ambitionierte Plan“ für das Blatt sei, „das globale mitte-rechts Äquivalent zur ‚New York Times‘“ zu werden.


Wobei Medienbeobachter das mit der „Mitte“ kritisch sehen. Die Wirtschaftsjournalismus-Professorin Jane Martinson beschreibt RedBird Capital als Aushängeschild „einer immer stärker globalisierten und gleichzeitig immer undurchsichtigeren Medienbranche“. Der „Telegraph“-Deal schlage nun die Brücke von einer „170 Jahre alten Zeitung für pensionierte britische Militärs zu den Tech-Milliardären der US-Westküste, die bereits im Besitz wichtiger journalistischer Stimmen der USA sind“. Durch seine öffentliche Unterstützung der „Idee, aus dem Blatt eine rechte ‚New York Times‘ zu machen“, versuche Cardinale, den „Daily Telegraph“ an die Spitze einer Bewegung zu stellen, „die das Narrativ von den allzu liberalen Mainstream-Medien nutzt, um das gesamte Mediensystem weiter nach rechts zu verlagern“, so Martinson.


Martinson ist hier vielleicht Partei – sie sitzt im Aufsichtsrat des Scott Trust, einer Stiftung, die die Unabhängigkeit und liberale Ausrichtung des „Guardian“ bewacht und finanziert. Doch sie wirft wichtige Fragen auf: Nachdem die Hauptinvestoren aus den Emiraten auf 15 Prozent der Anteile limitiert sind, ist RedBird keine normale Investment-Fonds-Beteiligung an der Telegraph Media Group, sondern de facto der neue Inhaber – sprich: Verleger. Zumal andere, gern an Bord geholte Anteilseigner wie die DMGT-Verlagsgruppe der „Daily Mail“ nur kleine Anteile in Höhe von zehn Prozent halten. Die DMGT war zunächst selbst am Kauf des „Telegraph“ interessiert, hätte aufgrund der starken Position der „Daily Mail“ im britischen Zeitungsmarkt aber wohl keine Freigabe der Wettbewerbsbehörden für eine Komplettübernahme bekommen.


Willige Unterordnung
Selbst wenn der Deal nun durchgewunken würde, so Martinson, bleibe der „Telegraph“ aber nur ein „kleiner Fisch“ für die deutlich größer, mächtiger und global aufgestellten Medieninvestoren von RedBird Capital. Sie sieht das Problem vor allem darin, dass sich viele an RedBird Capital beteiligte Medieninvestoren wie Larry Ellison willig auch im weitesten Sinne autokratischen Regimen – und vor allem dem von US-Präsident Donald Trump – unterordnen.


Ein Foto vom 13. Oktober zeigt einen bestens gelaunten Donald Trump mit Scheich Mansour bin Zayed Al Nahyan im ägyptischen Sharm el-Sheikh. Zur Erinnerung: Mansour, Vizepräsident der Vereinigten Arabischen Emirate, und sein Fonds IMI waren als ursprüngliche Käufer des „Daily Telegraph“ vorgesehen. In der Pressefreiheits-Rangliste der Organisation Reporter ohne Grenzen rangieren die VAE auf Platz 164 von 180 Ländern. An welchem Rang die USA in der zweiten Trump-Präsidentschaft stehen werden, bleibt abzuwarten.


Doch ganz egal, ob künftig RedBird Capital oder IMI den Ton angeben – ihre Sorgen haben „Telegraph“-Journalisten schon jetzt deutlich formuliert: „Großbritannien darf seine freie Presse nicht an die verkaufen, die sie mundtot machen wollen“, hieß es am 21. Oktober in einem Kommentar in eigener Sache.

 

 

 

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