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Gratwanderung Suizid-Berichterstattung: Wie Nachahmer verhindern?

Gratwanderung Suizid-Berichterstattung: Wie Nachahmer verhindern? Christian Höller, Journalist und Psychotherapeut.

Journalisten stecken bei Berichten über Suizide in einem Dilemma. Wird über bestimmte Details zu ausführlich berichtet, steigt die Gefahr der Nachahmung. Wie die Gratwanderung gelingen kann – fünf Tipps.

Wien – Über Suizide zu berichten, ist eine Herausforderung. Journalisten sind aufgerufen, in der Berichterstattung über Selbsttötungen „große Zurückhaltung“ zu üben. Doch Suizide von prominenten Personen oder Ereignisse können in der Berichterstattung nicht ignoriert oder als Kurzmeldungen abgehandelt werden. Daher stellt sich die Frage, wie angemessen berichtet werden kann. Denn es besteht die Gefahr der Nachahmer. In der Medienforschung und in der Sozialpsychologie wird vom Werther-Effekt gesprochen, erklärt Christian Höller. Und der Journalist, Coach und akademisch ausgebildete Psychotherapeut gibt fünf Tipps, was in der Suizidberichterstattung zu berücksichtigen ist: 

 

1.  Neutrale Formulierungen 

Suizidexperten betonen, dass es nicht darum geht, Berichte über Selbsttötungen zu verbieten. Es soll nicht verschwiegen werden, wenn sich eine prominente Person das Leben genommen hat, sondern empfohlen wird eine neutrale und wertfreie Berichterstattung. Journalisten sollen abwägen, ob es sich beim Suizid um eine Nachricht handelt, die tatsächlich auf der Titelseite und im Internet ganz oben erscheinen soll. Das Wort „Suizid“ sollte als Blickfang nicht gleich in der Schlagzeile stehen, sondern hier ist eine nüchterne Beschreibung („Tod von …“) zu bevorzugen. 

 

2. Keine Angaben über den Ort und über die Methode

Wer über einen Suizid nachdenkt, sucht oft nach einer effektiven Methode und einem geeigneten Ort. Daher sollten in der Berichterstattung im Interesse der Suizidprävention keine Angaben über den Ort und über die Methode gemacht werden. Meist ist es ohnehin irrelevant, wo und wie sich jemand das Leben genommen hat. Es reicht der Hinweis „starb durch Suizid“. Journalisten können ihre Vorgangsweise auch transparent machen und im Text darauf hinweisen, dass sie im Interesse der Suizidprävention auf eine detaillierte Beschreibung verzichten.  

 

3. Vorsicht bei Erklärungen 

Ein vieldiskutierter Punkt in den Redaktionen sind Erklärungsversuche für den Suizid. Manche Journalisten sind der Ansicht, dass es bei einem Suizid einer prominenten Person wichtig sei, die Hintergründe zu recherchieren. Psychologen raten davon ab, wenn Journalisten einfache und schnelle Erklärungen bringen wie „Suizid wegen schlechter Noten“, „aus Liebeskummer sich selbst getötet“ oder „Suizid nach Jobverlust“. Denn solche Formulierungen reduzieren die Handlung auf einen einzigen Grund.  

 

4. Auf Hilfsangebote hinweisen

Journalisten sollten sich mit Zitaten aus Abschiedsbriefen zurückhalten. Das bedeutet keine Zensur, sondern es geht in der Berichterstattung darum, nicht nur die eingeengte Sicht der betroffenen Person zu übernehmen, sondern sich umfassend und ausgewogen dem Phänomen einer psychischen Krise zu nähern. Journalisten können beispielsweise auf Aussagen von Experten verweisen, wonach eine Suizidgefährdung überwunden werden kann, wenn sich die Betroffenen Hilfe holen. 

 

5. Papageno-Effekt

Inzwischen haben wissenschaftliche Studien nachgewiesen, dass eine bestimmte Form der Berichterstattung nicht nur Nachahmesuizide verhindern, sondern auch suizidpräventiv wirken kann. Gemeint sind Artikel über Menschen, die eine Krise positiv bewältigt haben. Hier wird vom Papageno-Effekt gesprochen. Der Bericht stammt aus Mozarts Zauberflöte. In der Oper beschäftigte sich Papageno mit Vorbereitungen zum Suizid, doch andere Menschen konnten ihn davon abbringen.

 

Alle fünf Tipps von Christian Höller ausführlich beschreiben finden Sie in der aktuellen Ausgabe des „Österreichischen Journalisten“ (wie newsroom.de auch im Medienfachverlag Oberauer).