Vermischtes
KNA – Jan Freitag

Mitri Sirin über den Stand der Meinungsfreiheit: „Ich gehe auf beide Seiten offen zu. Immer.“

Mitri Sirin über den Stand der Meinungsfreiheit: „Ich gehe auf beide Seiten offen zu. Immer.“ Mitri Sirin (Foto: ZDF/Klaus Weddig)

In seiner Reportage „Am Puls mit Mitri Sirin“ erforscht der „heute journal“-Moderator am 3. Oktober im ZDF den Stand der Meinungsfreiheit. Wie weit er dafür zu gehen bereit ist, erklärt er im Interview.

Mainz (KNA) – Als Reporter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und als Mensch mit erkennbarem Migrationshintergrund wird Mitri Sirin längst nicht mehr überall mit offenen Armen empfangen. Wie vielen anderen Journalistinnen und Journalisten schlägt ihm teils offener Hass entgegen.

 

Sirin glaubt trotzdem weiter an den Dialog, berichtet er im Interview mit dem KNA-Mediendienst. Es sei seine Aufgabe, da hinzugehen, wo es wehtut. Genau das tut er in seiner Reportage „Am Puls mit Mitri Sirin“, die das ZDF am Tag der Deutschen Einheit ausstrahlt. Ein Gespräch über Meinungsfreiheit, den langen Atem – und was ihn von seiner Freundin und Kollegin Dunja Hayali unterscheidet.

 

Sirin glaubt trotzdem weiter an den Dialog, berichtet er im Interview mit dem KNA-Mediendienst. Es sei seine Aufgabe, da hinzugehen, wo es wehtut. Genau das tut er in seiner Reportage „Am Puls mit Mitri Sirin“, die das ZDF am Tag der Deutschen Einheit ausstrahlt. Ein Gespräch über Meinungsfreiheit, den langen Atem – und was ihn von seiner Freundin und Kollegin Dunja Hayali unterscheidet.

 

Herr Sirin, wie oft hatten Sie in Ihrer Karriere journalistisch mit dem Tag der Deutschen Einheit zu tun?
Ich würde sagen, ungefähr seit 2005 fast immer.

 

Wie hat sich aus Ihrer Sicht in diesen 20 Jahren die Meinungsfreiheit verändert?
Eigentlich überhaupt nicht. Artikel 5 Grundgesetz gilt 2025 ebenso uneingeschränkt wie 2005. Was ihm in dieser Zeit aber dazwischenkam, ist das Internet. Nachdem ich Mitte der Neunziger erstmals eine Mail verschickt hatte, ging alles sehr schnell – nochmals beschleunigt vom iPhone ab 2007. Knapp zehn Jahre später kippte die Stimmung zur Meinungsfreiheit in den sozialen Medien vollends.

 

Die für mehr Meinungsfreiheit sorgen – und zugleich ihre Abschaffung beklagen.
Nachdem sie die Kommunikation vereinfacht haben, wurden politische Krisen darin erst politisiert, dann polemisiert. Plötzlich konnte jeder mit einem Handy und seinem Facebook-Account die Weltlage kommentieren. Und das vor Publikum. Die Gatekeeper-Funktion redaktionell betreuter Medien verlor parallel zum Flüchtlingsthema 2015 und dem Erstarken der AfD schneller an Bedeutung als zuvor.

 

Sind Sie selbst noch auf Social Media aktiv?
Na ja, meinen Twitter-Account nutze ich ungefähr viermal im Jahr.

 

Wofür allein schon spricht, dass Sie „Twitter“ sagen, nicht „X“.
(lacht) Sehen Sie! Trotzdem verfolge ich dort, welche Debatten gerade wie laufen. Instagram fand ich ein bisschen kuscheliger, deshalb poste ich – auch auf Drängen meiner Frau – mehr, aber auch nicht ständig mein Frühstück, sondern allenfalls, wenn ich echt was zu sagen habe.

 

Worüber zum Beispiel?
Privat, wenn ich Marathon laufe. Beruflich, wenn ich für eine eigene Sendung wie diese hier werbe. Und gesellschaftlich zu großen Ereignissen wie den Morden von Hanau oder der Correctiv-Recherche zum Remigration-Treffen. Beides hat mich emotional berührt. Aber selbst da fehlt mir meist der Mehrwert bei den anschließenden Diskussionen, die oft für Missverständnisse statt Aufklärung sorgen und mich eher stressen als weiterbringen.

 

Zumal auch viele Gesprächspartner Ihrer Doku die Meinungskorridore anderer beklagen, aber den eigenen nie verlassen. Ist es eher Last oder Lust, mit denen zu reden, die Sie und Ihr Medium komplett ablehnen?
Es ist vor allem Teil meines beruflichen Selbstverständnisses, auch da hinzuhören, wo andere Haltungen herrschen als meine. Mit einem Ehepaar im sächsischen Döbeln zum Beispiel habe ich 45 Minuten geredet, nachdem zuvor niemand in ein ZDF-Mikrofon reden wollte. Obwohl wir unterschiedlicher Meinung sind und sie viel rechtes, auch rassistisches Zeug gesagt haben, bin ich heilfroh über dieses Gespräch. Das muss man abkönnen.

 

Im Anschluss erklärt ein Kommunikationswissenschaftler das „Intoleranz-Paradoxon“. Kannten Sie das zuvor?
Nein, aber es ist sehr schlüssig.

 

Es besagt, dass Intoleranz nicht zu tolerieren, als intolerant gelte. Da beißt sich doch die Katze in den Schwanz?
Und beschreibt damit den Kern allen Übels, womit sich auch die Doku auseinandersetzt. Weil Meinungsblasen nur noch Schwarz oder Weiß, aber kein Grau akzeptieren, stößt jede Haltung auf Widerspruch, der ausschließend wirkt. Ein Begriff wie „rechtsextremer Verdachtsfall“ ist in der einen Bubble daher „nicht rechts“, in der anderen „gesichert rechts“. Trotzdem gehe ich auf beide Seiten offen zu. Immer.

 

Nur, dass eine Seite dichtmacht. Sie sagten ja, dass ein ZDF-Mikro in Sachsen fast alle davon abhält, mit Ihnen zu reden. Erreicht die Doku da überhaupt noch jemanden außerhalb der eigenen Meinungsblase – oder ist das bloß „Preaching to the believers“?
Der Anspruch muss sein, alle zu erreichen. Deshalb geht es auch nicht um meine eigene Sicht, sondern den journalistischen Anspruch, alle Seiten der Medaille zu beleuchten. Es ist manchmal frustrierend, bei zehn Anfragen neun Absagen zu kriegen – in Döbeln sogar mehr. Umso glücklicher bin ich, nicht aufgegeben zu haben.

 

Ist das Ihr Mindset – niemals aufzugeben –, oder Handwerk?
Beides. Ich habe selbst fünf, sechs Jahre im Osten gearbeitet und nicht nur vieles über die Gefühlslage dort gelernt, sondern auch Verständnis dafür entwickelt. Daher weiß ich, dass eben nicht alle AfD-Wähler Rechtsextreme sind. Man muss nur den Weg gehen, dies zu verstehen.

 

Als Marathonläufer gehen Sie also gern über lange Strecken dorthin, wo es wehtut?
Langer Atem, Schmerzgrenze – genau. Trotzdem habe ich besonders im Osten viele Erfahrungen gemacht, die über das hinausgegangen sind und einfach niederschmetternd waren.

 

Auch wegen Ihres erkennbar migrationshintergründigen Namens und Äußeren?
Kurze Antwort: Ja.

 

Muss man da ein besonders dickes Fell haben?
Das gehört für jemanden, der in dieser hochkomplexen, widersprüchlichen Welt journalistisch tätig ist, dazu.

 

Glauben Sie, dass Gesprächsbereitschaft am Ende immer dazu führen wird, gar kein so dickes Fell mehr zu benötigen?
Absolut. Ich habe aber auch Grenzen. Wenn mich jemand mit gewalttätiger Sprache beleidigt, hört die Bereitschaft auf. Aber ich bekomme auch nicht annähernd so viel Hass ab wie Dunja.

 

Ihre Kollegin und Freundin Dunja Hayali beim ZDF, die sich wegen der Hetze im Netz gerade von Social Media zurückgezogen hat.
Auch weil sie – anders als ich – zusätzlich noch eine Frau ist. Ich rate ihr mitunter dazu, sich weniger öffentlich zu exponieren, das scheuert doch an der Seele. Aber sie hat eine Haltung und den Mut, dorthin zu gehen, wo es wehtut. Vielleicht überzeuge ich sie ja irgendwann, wenigstens gewaltbereite Vollidioten zu ignorieren.