Vermischtes
DDP

Westerwelle als Wunderheiler

Harald Schmidt punktet bei seinem Late-Night-Comeback vor allem mit politischen Gags.

Köln (ddp). Das Flehen von ARD-Wetterexperte Jörg Kachelmann hat Harald Schmidt nicht erhört. Zum Auftakt der neuen Staffel seiner ARD-Late-Night-Show wollte Schmidt am Donnerstagabend nicht auf den gestutzten Vollbart verzichten - obwohl ihm Kachelmann nach den "Tagesthemen" noch dringend von der angeblich wenig telegenen Gesichtsbehaarung abgeraten hatte.

Schmidt, im etwas spack sitzenden dunkelblauen Dreiteiler, zeigte sich gut aufgelegt. Eine "klassische Late Night" nach amerikanischem Vorbild, also "ein Stand-Up, ein Schreibtisch, eine Live-Band und ein Gast", hatte er in Aussicht gestellt - und genau so kam es.

Schon beim Eröffnungsmonolog gab sich der Gastgeber sehr politisch, auf Pointen aus der Welt des Boulevardjournalismus verzichtete er in der Sendung nahezu komplett. Stattdessen wurde der schlappe Bundestagswahlkampf gründlich ins Visier genommen. Immerhin hätten bei der Flugzeug-Notlandung von SPD-Chef Franz Müntefering die Funken gesprüht, stellte Schmidt fest.

Geradezu subversiv zeigte er sich, als er die Wahlwerbespots von CDU und SPD zusammenschnitt - und dabei die Aussagen von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Herausforderer Frank-Walter Steinmeier (SPD) als austauschbare Worthülsen zeigte. Das ist zwar nicht neu, aber immer wieder nett anzuschauen - zumal der tatsächliche CDU-Wahlwerbespot ausgerechnet direkt vor der Show in der ARD lief.

Prompt hätten beim Kanzlerduell viele Zuschauer Steinmeier für Merkels Gatten gehalten, vermutete Schmidt, bei dem die Opposition allerdings nicht viel besser wegkam. So wurde das Trio Guido Westerwelle (FDP), Jürgen Trittin (Grüne) und Oskar Lafontaine (Linke) als "The Good, The Bad and the Ugly" in den Untiefen des Spaghetti-Westerns verortet.

Arg traf es besonders die FDP, die einzige Partei, bei der schon mal ein "Meister vom Himmel gefallen" sei, wie es in einem Einspielfilm unter Bezug auf den 2003 mit dem Fallschirm in den Tod gestürzten Jürgen Möllemann hieß. So gelang es Schmidts Team, einen angeblichen Rollstuhlfahrer in die erste Reihe einer Wahlkampfveranstaltung von Parteichef Westerwelle zu schmuggeln. Als dieser am vermeintlich Gelähmten vorbei schritt, sprang dieser angeblich spontan "geheilt" wieder auf.

Dass er die Grenzen der politischen Korrektheit gerne auch großzügig auslegt, zeigte Schmidt auch, als er den zurückgetretenen thüringischen Ministerpräsidenten Dieter Althaus (CDU) - bei dessen Skiunfall am Neujahrstag eine Frau tödlich verletzt worden war - als mit Skiern ausgestattetes Gespenst durch den Landtag geistern ließ.

Als echte Bereicherung erwies sich Comedian Jan Böhmermann, der als angeblich diskriminierter Schweinegrippepatient bis in die Abendnachrichten von ProSieben und Sat.1 kam - was Schmidt genüsslich als eklatantes Beispiel für "Schweinegrippen-Journalismus" vorführte.

Nach dem durchaus furiosen Auftakt ließ Schmidt dann nach, denn wie vorab angekündigt suchte er jetzt seine Pointen im gehobenen Feuilleton - bedauerlicherweise weitgehend vergeblich. Humorfrei wurde mit den Namen von Theater-Jungstars jongliert. Nett hingegen die gemeinsam mit Katrin Bauerfeind vorgetragene Kinokritik, in der Lars von Triers verstörender "Antichrist" als heimeliger Tierfilm geschildert wurde, während Michael "Bully" Herbigs erfolgreicher Familienfilm "Wickie und die starken Männer" als geradezu abartig klassifiziert werden. Quentin Tarantinos Weltkriegsfarce "Inglourious Basterds" sei hingegen nichts anderes als ein romantischer Liebesfilm - Gags, die man allerdings nur versteht, wenn man sich zumindest ansatzweise mit den Filmen beschäftigt hat.

Studiogast der ersten Sendung war der Unternehmer und Inhaber des Textilherstellers Trigema, Wolfgang Grupp, der sich als CDU-Wähler zu erkennen gab - und gleichzeitig mit dem Mindestlohn sympathisierte. Als Unternehmer sei es erste Pflicht, dem Heimatland zu dienen, beteuerte Grupp unter dem Beifall des Studiopublikums. Schließlich bot er Schmidt postmortales Asyl in seinem großzügig ausgelegten Familiengrab an.

Nach 45 Minuten stand fest: Bei Pointen und Gags ist durchaus noch Luft nach oben, dafür wurde Schmidts bisheriger Sidekick, Oliver Pocher, nun wirklich nicht vermisst. Die ARD hat von der neuen Late-Night-Show bereits zwei Staffeln mit 49 Folgen und vier Best-Of-Sendungen in Auftrag gegeben.