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Wenn man plötzlich den Feind ins Haus lässt: Der „Spiegel“ hat „Bild“-Chef Johannes Boie porträtiert

Wenn man plötzlich den Feind ins Haus lässt: Der „Spiegel“ hat „Bild“-Chef Johannes Boie porträtiert Johannes Boie

Zwischen „Bild“ und „Spiegel“ ging es zuletzt hoch her. Jetzt hat „Bild“-Chef Johannes Boie Spiegel-Redakteur Anton Rainer Zutritt gewährt. Welches Zeugnis der „Spiegel“ Boie ausstellt und wer zu Boies prominentesten Kritikern in der „Bild“-Redaktion zählen soll.

Berlin – „Es sieht aus, als wäre er nur zur Zwischenmiete hier.“ Mit diesem Satz beginnt Anton Rainer, Redakteur im Wirtschaftsressort des „Spiegel“, sein Porträt über Johannes Boie. Rainer war schon an den brisanten und umstrittenen „Spiegel“-Recherchen über dessen Vorgänger bei „Bild“, Julian Reichelt, beteiligt.

 

„Es könnte ihm egal sein, was man von ihm denkt, seinen Vorgängern war es das auch. Doch im Gespräch zögert der Chefredakteur bei jedem zweiten Satz. Es kommt vor, dass er einen Witz erzählt und ihn nach zwei Wörtern wieder abbricht, als habe er Angst, dass man die Pointe gegen ihn verwende. Immer wieder bittet er, dass man das Aufnahmegerät kurz mal ausschalte. Sogar von den harmlosen Dingen, die er ins Tonband spricht, will er später vieles nicht mehr gesagt haben“, schreibt Anton Rainer in seinem Boie-Stück „Der Anti-Reichelt“.

 

Das „Zaudern“ des Bild-Chefredakteurs habe viel mit dem Laden zu tun, den er im vergangenen Jahr übernommen habe – und mit seiner Rolle darin, heißt es dort weiter.

 

Boie hat laut Rainer nach „einigen Treffen“ dem „Spiegel“-Porträt zugestimmt, in dem der Autor noch mal ausführlich auf den Boie-Vorgänger Julian Reichelt eingeht. Zum Beispiel so: Ein Kampfhund sei „Bild“ immer schon gewesen, unter Reichelt habe es geschienen, als habe er Tollwut.

 

Boie ist fur Rainer der „Anti-Reichelt“, auch wenn der „Bild“-Chef den Vergleich ungern höre:

„Bei Reichelt quollen die Aschenbecher über, Boie raucht nicht. Reichelt zeigte Brusthaar, Boie schließt sein Hemd beim zweiten Knopf. Reichelt dekorierte sein Büro mit Playstation und Feldbett, Boie hängt Zeitungsartikel an die Wand. Reichelt schickte Dienstanweisungen um zwei Uhr nachts, Boie schickt Microsoft-Teams-Nachrichten um neun Uhr morgens.“

 

Boie bezeichnet sich selbst im „Spiegel“ als „Krisenmanager“, Rainer sieht Boie eher als „Feuerlöscher“. Doch nach mitterweile einem Jahr brauche „Bild“ keinen Feuerlöscher mehr, eher jemanden, der wieder eine Glut entfache. Er müsse dabei ja nicht gleich alles in Brand stecken, meint der „Spiegel“-Journalist.

 

„Je länger Boie auf seinem Posten sitzt, desto mehr Redakteure zweifeln auch an ihm. Er sei ein guter Mensch, aber könne keinen Boulevard, sagen seine Kritiker – er habe es vorher ja nie gemacht. Er war nie Polizei- oder Klatschreporter“, heißt es im „Spiegel“-Porträt weiter.

 

Johannes Boie wirkte als Kulturredakteur bei der „Süddeutschen Zeitung“ und Chefredakteur der „Welt am Sonntag“. „Boie war nie Teil der ,Bild‘-Familie, wo jeder mit jedem schon mal auf der Weihnachtsfeier knutschte“, weiß Anton Rainer. Noch immer wirke Boie nicht wie ein Teil der Redaktion und auch nicht wie ihr Anführer – sondern wie einer, der eigentlich nicht hier hingehöre.

 

Boie spricht im „Spiegel“ von Konfliktlinien in der Redaktion, die man meist erst erkenne, wenn man über sie stolpere. Es komme vor, dass Boie in seinen Augen fähige Mitarbeiter befördere und plötzlich wütende SMS-Nachrichten aus der Redaktion erhalte. Boie sagt im „Spiegel“, er hoffe, „dass für viele Leute hier eine bessere Zeit angebrochen ist. Ein paar andere mussten sich umgewöhnen“.

 

Der „Spiegel“ hebt hervor, dass unter der Ägide von Boie wieder mehr Recherchen statt Predigten des Chefredakteurs gedruckt werden. „Es kommt durchaus vor, dass Geschichten aus dem Blatt fliegen, weil sich Fakten nicht verifizieren lassen. Dass es nicht mehr nur um Bild TV geht, weil die ‚TV first‘-Strategie durch Boie beendet wurde“, so der „Spiegel“. „Ich stehe dafür, dass vor den harten Thesen immer auch harte Recherche erfolgt“, wird Boie zitiert.

 

Einer der schärfsten Kritiker Boies bei „Bild“ soll laut „Spiegel“ „Starreporter“ Paul Ronzheimer sein. „Der Mann, der seit Kriegsbeginn intensiv wie kein anderer aus der Ukraine berichtete, halte seinen Chef für menschlich in Ordnung, aber einen inhaltlichen Totalausfall“, schreibt Anton Rainer. Aus Boies Umfeld soll es heißen, dass Ronzheimer gekränkt sei, weil er als Vertrauter Reichelts bei „Bild“ so gut wie alles durfte. Formal sei er noch Vize­chef, in der Praxis entscheide er nichts.

 

Beide Seiten, Boie wie Ronzheimer, bestreiten gegenüber dem „Spiegel“ einen Konflikt. „Ich habe auch vor der Zeit von Johannes intern immer klar meine Meinung gesagt und inhaltlich Position bezogen“, wird Ronzheimer zitiert. Der „Spiegel“ berichtet, dass Ronzheimer in den vergangenen Monaten mit RTL Gespräche über einen möglichen Wechsel geführt haben soll. Ronzheimer sagt dazu: „Ich bin sehr glücklich bei ,Bild‘.“