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Warum Julia Jäkel die Debatte um Henri Nannen verzweifeln lässt

Warum Julia Jäkel die Debatte um Henri Nannen verzweifeln lässt Julia Jäkel

Die RTL-Deutschland-Tochter Gruner + Jahr und der stern setzen sich unter der Ägide des neuen Chefredakteurs Gregor Peter Schmitz derzeit intensiv mit der Vergangenheit von Henri Nannen auseinander. In die Debatte hat sich nun auch die ehemalige G+J-Chefin Julia Jäkel eingeschaltet.

Berlin – Julia Jäkel war von 2013 bis 2021 CEO von Gruner + Jahr, das in der Folge von RTL übernommen wurde. Auf LinkedIn meldet sich die langjährige Medienmanagerin regelmäßig zu Wort, nun auch in einer Sache, die ihren ehemaligen Verlag betrifft.

 

„Die Debatte um die Geschichte und Bedeutung des einstigen stern-Chefs Henri Nannen hat mich in den letzten Wochen verzweifeln lassen“, schreibt Jäkel auf LinkedIn. Sie legt ihren Followern einen aktuellen Artikel von Nils Minkmar ans Herz, der seit 2021 im Team der SZ ist:

„Jetzt befasst sich Nils Minkmar in der Sueddeutsche Zeitung damit und ich könnte ihm nicht mehr beipflichten: ,Die Debatte...lässt einen ratlos zurück, so unterkomplex ist sie geraten. Sie wird so zum traurigen Beispiel für eine Geschichtsdebatte, die sich weder für Geschichte noch für Debatten interessiert. Nun rächt es sich, dass die historische Aufklärung über den Nationalsozialismus … in diesem Land irgendwann einfach beendet wurde …'“

 

Und Jäkel zitiert Minkmar weiter: „Der Fall sollte zu denken geben. Wie pflegen wir historisches Wissen? Wie verhindert man, dass Fakten übersehen werden, weil sie bloß gedruckt vorliegen? Und wie bewerten wir Schuld in der Geschichte?“

 

Jäkel selbst merkt dazu an: „Sich mit der Archivlage und dem Bekannten zu beschäftigen, auch wenn die Debatten darum weiter zurück liegen, ist die Grundlage für profunde Auseinandersetzung in der Gegenwart.“ Minkmars Artikel in der „Süddeutschen Zeitung“ findet sie sehr lesenswert, informiert und abgewogen.

 

Minkmar fragt sich in dem Stück „Ich wusste es, und ich war zu feige“ über „Henri Nannens NS-Vergangenheit“, ob RTL seine Due-Dilligence-Hausaufgaben gemacht hätte, denn es gebe keinen Stern ohne die Legende von Henri Nannen und keinen Nannen ohne Nazigeschichte. Und weiter:

„Jüngere oder wenig interessierte Leserinnen und Leser mochten beim Überfliegen der Nannen-Schlagzeilen der vergangenen Wochen annehmen, hier seien belastende Dinge aufgetaucht, die zuvor nicht bekannt waren, die Nannen versteckt hatte und sein Umkreis verschwieg. Man konnte zu dem Schluss kommen, dass in einem Archiv Dinge gefunden wurden, die so unerhört sind, dass Nannens posthumer Rücktritt von einer behaupteten Planstelle als journalistisches Vorbild unumgänglich sei.“

 

Doch die Propagandaflugblätter, die „Stern“-Chef Gregor Peter Schmitz jüngst als eklig und widerlich bezeichnet hatte, seien seit vielen Jahrzehnten bekannt, betont Nils Minkmar in der SZ, und alle jene, die sich nun darüber empörten, die den Namen für Preis und Schule in Zweifel zögen, als habe man sie all die Jahre hintergangen, sollten sich ihrerseits fragen, warum es sie so wenig interessiert habe, dass sie nicht einmal nachlesen wollten, was der Namensgeber im Krieg gemacht habe.

 

Minkmar kommt zu folgendem Schluss:

„Sicher ist es naiv, mit den Sensibilitäten von heute einzelne Aspekte der Vierzigerjahre zu beurteilen. Würde man mit einer Zeitmaschine in die Vierzigerjahre reisen, um Nannen als besonders belasteten Täter zu beschuldigen, stieße man auf Gelächter. Diese Zeit war eben noch viel furchtbarer, als man es annimmt, und die sofort erhobene Forderung, die Zeitzeugen hätten doch reden sollen, erfordert die Gegenfrage, wer es denn schafft, die Wahrheit auszuhalten. Ebenso falsch ist es aber, die Zeitmaschine umgekehrt zu benutzen und einen Mann wie Henri Nannen, ein Deutscher seiner Zeit, zum Vorbild für heutige oder zukünftige Journalistinnen und Journalisten zu küren. Dazu ist seine Geschichte zu kompliziert. Es lohnt sich sehr, sie zu studieren, davon zu lernen und dankend anzuerkennen, dass er viel für das Land und die Branche getan hat - aber die Journalistenschule und auch der Journalistenpreis brauchen einen neuen Namen.“

 

Hintergrund: Um die Debatte um Henri Nannens Vergangenheit zu entschärfen, haben „Stern“ und Gruner + Jahr entschieden, den Nannen Preis in diesem Jahr einmalig als „Stern“-Preis zu verleihen.