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Schon wieder Gabor Steingart: Der Media-Pioneer-Gründer provoziert Zorn der Regionalpresse

Schon wieder Gabor Steingart: Der Media-Pioneer-Gründer provoziert Zorn der Regionalpresse Gabor Steingart

Gabor Steingart hat mit einem Morning Briefing Newsletter Lokaljournalisten und Führungskräfte von regionalen Medienhäusern vor den Kopf gestoßen. In den sozialen Medien schießen Branchengrößen wie Jörg Quoos, Stefan Lutz und Andreas Tyrock scharf zurück. Allerdings bekommt Steingart nicht nur auf die Nuss.

Berlin – „Guten Morgen, schon in meiner frühen Zeit als freier Mitarbeiter bei der Lokalzeitung hieß es: Du darfst bei uns alle kritisieren, den amerikanischen Präsidenten, die CIA und den Kreml, nur bitte nicht den Herrn Oberbürgermeister. Der Herr Oberbürgermeister der Hauptstadtpresse ist die Frau Bundeskanzlerin, weshalb der folgende Sachverhalt von ARD, ZDF und den überregionalen Zeitungen mit großer Diskretion behandelt wird“, leitet Gabor Steingart seinen Morning Briefing Newsletter am vergangenen Freitag ein. Danach geht der Media-Pioneer-Gründer auf den Neubau des Bundeskanzleramtes ein. 

 

Bei Jörg Quoos, Chefredakteur der Funke Zentralredaktion Berlin, stößt das Steingart-Stück sauer auf: „Das ist schon stark: Im Morning-Briefing von Gabor Steingart vom vergangenen Freitag werden Regionalzeitungen als Bürgermeisterhörig lächerlich gemacht. Dann kommt eine Geschichte, die sich wie eine Steingart-Enthüllung liest. Die teure Kanzleramts-Erweiterung! Der Bundesrechnungshof ist alarmiert! Die Kosten steigen! In Wahrheit hat die (sehr bürgermeisterkritische) Regionalzeitung ,Berliner Morgenpost‘ die gestiegenen Kosten zwei Tage vor dem Steingart-Briefing enthüllt, etliche Funke-Zeitungen haben die Recherche übernommen. Die Überschrift lautete: ,Millionengrab Kanzleramt‘. Erschienen am 7.10.2020"“, schreibt Quoos auf seiner Facebook-Seite. „Steingart hat abgeschr...., äh, vergessen zu zitieren oder bestenfalls nachrecherchiert. Diese Mischung aus Kollegen schlecht machen und Dreistigkeit ist wirklich eine Pionierleistung“, macht die Funke-Führungskraft ihrem Ärger Luft.

 

Gabor Steingart antwortet auf dem Twitter-Account von Caroline Mohr – die Leiterin der digitalen Kommunikation im Willy-Brandt-Haus in Berlin hatte den Post von Jörg Quoos zitiert. „Tut mir leid Freunde, aber ich lese die ,Berliner Morgenpost‘ nicht. Seit mindestens zehn Jahren nicht. Mein Fehler. Und den Rechnungshof-Bericht haben wir selber. Oder habt ihr den auch geschrieben? Empört Euch“, schreibt Steingart.

 

Die Reaktionen auf Steingarts Erklärung und Entschuldigung reichen von „interessantem Verständnis von Journalismus“ bis zu „bi„llige Ausrede“ und „Hybris“. Michael Bröcker, Chefredakteur von „ThePioneer“, springt Steingart auf Twitter zur Seite und geht auch noch mal auf den kritischen „Spiegel“-Artikel über Steingarts Geschäft ein. Diesen haben man nicht verhindern wollen. Es müsse halt nur alles stimmen. Dann sei alles gut. „Gegenwind halten wir schon aus, wir säen ja auch“, schreibt Bröcker, der zuvor Chefredakteur bei der „Rheinischen Post“ war.   

 

Um Regionalzeitungen dreht sich auch die von Jörg Quoos angestoßene Diskussion auf Facebook: Peter Maskow, Chefredakteur bei „Marktspiegel“, schreibt in Bezug auf die Beziehung von Lokaljournalisten und Oberbürgermeistern: „Kann ich aus meiner Zeit bei mehreren Lokalzeitungen nicht bestätigen. Und für meine 18 Jahre bei den ,Bild‘-Regionalausgaben galt das schon dreimal nicht.“ Peter Huth, ehemals Chefredakteur der „B.Z.“ und „Welt am Sonntag“, seit 2019 Corporate Creative Director bei Axel Springer und Autor der Welt-Gruppe, kommentiert: „Keine Ahnung, wo Gabor Steingart als freier Mitarbeiter gearbeitet hat. Ich kenne es dezidiert anders. Als Redakteur und bei und als Redaktionsleiter von Regionalausgaben.“ Auch „Südkurier“-Chefredakteur Stefan Lutz meldet sich zu Wort: „Wir erscheinen in knapp 150 Kommunen, bei mir ruft jede Woche irgendein Bürgermeister an, um sich über die Kritik meiner Kollegen zu beschweren. Die würden sich schütteln vor Lachen von wegen 'bürgermeisterhörig'. Mit Verlaub, Herr Steingart, wohl lange nicht mehr in bodenständiger Region unterwegs gewesen …“

 

Medienmacher Oliver Wurm (Das Grundgesetz als Magazin) findet bei Gabor Steingart jeden Morgen eigentlich richtig viel anregendes und tolles und die Crew sei, ohne Frage, gut. Aber das Kollegen-Bashing von Steingart, das Abdriften ins mitunter schon leicht Verschwörerische findet Wurm unnötig und richtig schade. Berater Harald Wahls, früher Geschäftsführer bei Funke, Axel Springer und der Verlagsgruppe Handelsblatt, wirft ein: „Gabor Steingart ist doch der, der die Unabhängigkeit der ,Handelsblatt‘-Redaktion an Werbekunden verkauft hat, oder?“ Sport1-Chefredaktions-Mitglied Pit Gottschalkerinnert sich: „Bei Funke habe ich bei den vielen Regionalzeitungen nicht einen Chefredakteur kennengelernt, der vor einem Bürgermeister gebuckelt hätte. Und bei Steingart arbeitet im Übrigen ein Chefredakteur, der von einer Regionalzeitung kommt und zu den besten seines Fachs gehört. Ich verstehe Gabor Steingarts Pauschalurteil einfach nicht. Wollte er sich nicht immer gegen Klischees stemmen?“

 

Auf der Facebook-Seite von Jörg Quoos sagt auch sein Funke-Kollege Andreas Tyrock, Chefredakteur der „WAZ“, seine Meinung: Es sei irgendwie tragisch, aber auch rätselhaft und unverschämt zu gleich. Dass ein Gabor Steingart permanent versuche, sich auf Kosten der vielen innovativen Regionalzeitungen und vieler engagierter, mutiger Journalisten zu profilieren, spreche für viel Nervosität und wenig Bodenhaftung. Peter Pauls, ehemals Chefredakteur jetzt Chefautor des „Kölner Stadt-Anzeiger“, findet: „Schade, dass Gabor andere kleiner machen muss, um selber größer zu erscheinen. Von seinem Kollegen Michael Bröcker kann er den Mist nicht haben.“

 

In der Facebook-Gruppe Lokaljournalisten-Forum, mit rund 2.700 Mitgliedern, stößt derweil Alexander Marinos eine Diskussion über Steingart an: „Ich war Praktikant bei der ,Westdeutschen Zeitung‘ in Wuppertal, Volontär beim ,Remscheider General-Anzeiger‘, Nachrichtenchef bei der ,Wetzlarer Neuen Zeitung‘, Politikchef bei der ,Westdeutschen Zeitung‘ in Düsseldorf, stellv. Chefredakteur beim ,General-Anzeiger‘ in Bonn, Chefredakteur der ,Eßlinger Zeitung‘, und jetzt arbeite ich seit sechs Jahren als stellv. Chefredakteur bei der ,WAZ‘. Überall wurde und wird der (Ober-) Bürgermeister kritisiert. Mal mehr, mal weniger heftig. Herr Steingart, was für ein merkwürdiges Zerrbild malen Sie da von der regionalen Tageszeitung? Was soll das?“

 

In den über 30 Kommentaren auf Marinos Beitrag gibt es immer wieder Kritik an Steingarts Aussage, aber einige stimmen dem Media-Pioneer-Gründer auch zu: Volker Thies, Redakteur der Immobilien-Zeitung, schreibt: „Ist nach meiner Erfahrung schon ein oft zutreffendes Bild. Es hängt halt viel von der parteipolitischen Konstellation zwischen Verlag/Redaktion und Stadt sowie vom persönlichen Verhältnis der Betiligten ab. Wenn es ein großstädtisches Umfeld ist und wenn noch ernsthafte Konkurrenzmedien arbeiten, dann ist das Problem nach meiner Beobachtung schwächer ausgeprägt. In kleinen Städten und in Monopolgebieten ist das Verhältnis zwischen Verwaltung und Lokalpresse schon sehr oft kumpelhaft bis devot.“

 

Die freie Journalistin Ulrike Kaiser fügt hinzu, dass es relativ einfach sei, „als Politikredakteur die Mächtigen der Welt zu kritisieren, aber ungleich schwerer, das auf die lokale Ebene zu übertragen, weil man sich als Journalist/in dort direkt mit den Kritisierten auseinandersetzen muss. Also eigentlich mehr ein Hohes Lied aufs Lokale.“

 

Arndt Zinkant von den „Westfälischen Nachrichten“ kann dem Gedanken folgen: „Steingart spitzt natürlich hier zu - und dieser Satz ist vermutlich auch nie so gefallen, wie er ihn zitiert. Aber die Tendenz stimmt schon: Im Lokalen wird die Empfindlichkeit immer größer gegenüber Bundes- oder Weltpolitik. Niemand würde auf die eigenen lokalen Politgrößen verbal so eindreschen wie auf Trump oder Putin. Klar! Diese beiden trifft man ja auch nie auf der Straße.“