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dpa – Anna Ringle

Medienanwalt Christian Schertz: Redet nicht einen Satz über euer Privatleben!

Medienanwalt Christian Schertz: Redet nicht einen Satz über euer Privatleben! Christian Schertz

Jan Böhmermann erschuf eine Satirefigur über ihn, jetzt bekommt einer der bekanntesten Medienanwälte Deutschlands eine ARD-Anwaltsserie: Wie viel Christian Schertz steckt in „Legal Affairs“?

Berlin (dpa) − Einer der bekanntesten Medienanwälte Deutschlands ist Vorlage für die neue ARD-Anwaltsserie „Legal Affairs“. Christian Schertz spricht im Interview der Deutschen Presse-Agentur darüber, dass er manchmal sogar sein eigener Anwalt ist. Und Lavinia Wilson, die das Alter Ego des Juristen in der Serie spielt, erzählt, welchen Spruch sie sich bei Schertz für ihre Rolle abgeschaut hat.

 

Herr Schertz, wie oft klingelt Ihr Telefon am Tag?

Schertz: Jedenfalls sehr oft. Aber es sind noch viel, viel mehr Mails.

 

Wie viele Notfälle sind darunter?

Schertz: Pro Tag für unser Team 10 bis 15. Das, was die Serie wirklich zeigt, ist: Der Zeitdruck, unter dem wir arbeiten, die Geschwindigkeit und auch der Druck des Klienten im Hintergrund. Der Angst hat, dass morgen seine Reputation massiv beschädigt wird oder eben Eingriffe in die Privat- und Intimsphäre stattfinden.

 

Warum rufen Mandanten an, was ist der Klassiker?

Schertz: Es gibt drei typische Fallkonstellationen. Die eine ist, dass mich der Mandant anruft und sagt: „Die recherchieren über mich, dass ich getrennt bin oder erkrankt bin.“ Da gibt es alle Varianten. Mein Job ist es, im Vorfeld diese Berichterstattung zu verhindern. Die andere Variante ist: Der Mandant ist auf dem Titel eines Magazins mit einem Paparazzi-Foto, das ihn in einem rein privaten Moment zeigt und insofern einen massiven Eingriff in die Intim- oder Privatsphäre darstellt. Schließlich gibt es eben Berichterstattungen, die schlicht falsche Tatsachenbehauptungen über eine Person verbreiten. Auch dieses ist rechtswidrig. Ich versuche so etwas natürlich im Vorfeld zu verhindern, oder eben nach der Erstveröffentlichung dagegen vorzugehen und zu verhindern, dass andere Medien das übernehmen.

Ich werde in der Öffentlichkeit sicherlich oft wahrgenommen als derjenige, der Sachen unterbindet. Das betrifft aber im Regelfall Verletzungen von Persönlichkeitsrechten. Und der Mensch muss es eben nicht dulden, dass falsch über ihn berichtet wird oder eben die Privatsphäre verletzt wird. Oftmals stehe ich aber auch aufseiten der Künstler oder der Kunstfreiheit.

 

Frau Wilson, haben Sie schon einmal einen Medienanwalt gebraucht?

Wilson: Nein. Aber ich wüsste jetzt, wo ich hingehe.

 

Herr Schertz, haben Sie schon einmal einen Medienanwalt gebraucht?

Schertz: Ich selber gehe mit meinem Team auch gegen Falschbehauptungen, was meine Person angeht, vor. Das „Manager Magazin“ etwa hat in einem Artikel über Medienanwälte geschrieben, ich würde mein Hemd gelegentlich erst ab dem vierten Knopf schließen und einen Walter-Ulbricht-Bart tragen. Dagegen habe ich jetzt eine Gegendarstellung beim Landgericht erwirkt, dass ich seit Jahren einen Vollbart trage und mein Hemd regelmäßig ab dem dritten Knopf geschlossen ist. Diese Formulierungen sollten mich ja auch ein stückweit verächtlich machen. Das war schon so gemeint.

 

Haben Medienanwälte in Zukunft mehr oder weniger zu tun?

Schertz: Mehr. Wegen des Internets. Der Unterschied zu der Zeit, wo ich anfing in den 1990ern: Da betraf das, was ich mache, nur Prominente, weil es gedruckte Presse war. Heute kann jeder von uns durch Falschbehauptung, Schmähung oder Veröffentlichung von heimlich aufgenommenen Intim-Fotos öffentlich vorgeführt werden − und zwar weltweit. Die Gefährdungslage ist heute für das Individuum vor öffentlicher Diskriminierung, Vorführung, Hate Speech und Fake News viel größer als noch vor 20 Jahren. Ja, der Beruf hat Konjunktur.

 

Ist es nicht ein Widerspruch, wenn ein Promi in der Presse etwas über sein Privatleben erzählt, aber dann auf der anderen Seite einen Medienanwalt einschaltet?

Schertz: Mandanten empfehle ich, über ihr Privatleben auch nicht nur einen Satz zu sagen. Ich sehe keinen Sinn darin, über sein Privatleben zu sprechen, wenn man Star ist. Erstens behält er seinen Rechtsschutz, wenn er nicht redet. Zweitens ist der Mythos viel stärker, wenn ich über den Star gar nichts weiß. Er behält damit gewissermaßen ein Geheimnis. Den ersten Satz, den ich immer wieder zu Betroffenen sage: Gehe auf die Bühne und fahre dann nach Hause.

Das Problem ist: Wenn ein Prominenter etwas zu seinem Privatleben sagt wie „Ja, ich bin jetzt getrennt. Ja, ich habe drei Kinder“, dann sagen die deutschen Gerichte, man macht eine Tür auf und kriegt sie nicht wieder zu. Deswegen haben wir tatsächlich den unbedingten Rat an alle Mandanten: Redet nicht einen Satz über euer Privatleben. Ein Riesenproblem ist, dass viele Prominente aber inzwischen auf Instagram sind. Und relativ viel privat von sich zeigen. Das fällt uns tatsächlich mitunter auf die Füße, wenn dann einerseits gegen Paparazzi-Fotos geklagt werden soll, aber aus demselben Urlaub Fotos gepostet werden.

 

Frau Wilson, wie gehen Sie als Promi mit Öffentlichkeit und Privatleben um?

Wilson: Das Absurde an dem Beruf ist, dass man in der Öffentlichkeit steht, weil ich Schauspielerin bin − aber ganz oft interessieren sich Medien nicht für den Beruf, sondern für andere Dinge. Damit muss man irgendwie umgehen. Andererseits: Alles, was ich nicht auch meiner Bäckerin erzählen würde, hat nicht in der Zeitung, auf Instagram oder auf Facebook etwas verloren. Es gibt privat und es gibt öffentlich. Ich finde die Trennung nicht so wahnsinnig schwer zu machen.

 

Haben Sie persönliche Erkenntnisse aus der Serie gezogen?

Wilson: Ich war schon immer vorsichtig und bin es jetzt noch mehr. Ich passe auf Social Media mehr auf, über Menschen in meinem Privatleben ist dort nichts zu finden.

 

Hat der Beruf des Medienanwalts etwas mit dem Beruf des Schauspielers gemeinsam?

Wilson: Die Geschwindigkeit und der Druck. Wenn wir einen Film drehen, geht es zum Glück meistens nicht darum, dass Existenzen bedroht werden. Aber trotzdem: Die Schnelligkeit und die Notwendigkeit, flexibel zu sein − das ist bei einem Filmdreh gar nicht so unähnlich. Bei Christian brennt es wirklich, bei uns ist immer das Geld knapp. Da brennt es woanders, weil es schnell gehen muss, weil es einfach eine teure Kunstform ist. Und was Medienrechtsanwält*innen wahrscheinlich noch mehr brauchen als andere Jurist*innen, ist eine große Empathiefähigkeit. Und ohne Empathiefähigkeit braucht man gar nicht mit dem Schauspielen anfangen.

 

Wie viel Schertz steckt in der Serie?

Schertz: Es ist eine fiktionale Serie und hier werden natürlich bewusst die tatsächlichen Dinge dramatisiert. Das ist nun einmal so bei Fiktion. Allerdings die Geschwindigkeit und der Druck werden tatsächlich eins zu eins wiedergegeben. Die Methoden, die Leo Roth teilweise anwendet, sind nicht unsere. Das würde ich nicht machen. Ich würde nicht zu jemandem gehen und ihn nötigen, dass er irgendwas nicht tut. Ich drohe Medien lediglich mit Konsequenzen, etwa mit Geldentschädigungen, eben wenn sie Persönlichkeitsrechtsverletzungen begehen. Aber das ist legal und auch legitim. Aber das Ausspähen von anderen, um seinen Mandanten zu helfen − solche Methoden mache ich nicht.

Natürlich hat Lavinia, indem sie mich auch bei Gericht begleitet hat, gesehen, wie ich agiere. Aber auch die Art, wie sie manchmal agiert, also auch mit einer gewissen Wut und Nachhaltigkeit − das hat schon etwas mit unserer Arbeit zu tun.

Wilson: Auch einzelne Sprüche, die Christian beigesteuert hat, wie „einfach machen“. Den Spruch hätte ich gerne noch öfter untergebracht. Auch die Selbstverständlichkeit, sich Raum zu nehmen. Und eine wahnsinnige Präzision in der Sache und dann gleichzeitig eine fast so Berliner rotzige Schnodderigkeit.

 

Frau Wilson, Sie haben schon mehrere Anwaltsrollen gespielt, wird das jetzt Ihr Metier werden?

Wilson: Ich wünsche mir, dass „Legal Affairs“ in eine zweite Staffel geht. Das wäre dann aber die einzige Anwältin, die mir erhalten bleibt.

 

Herr Schertz, haben sich eigentlich Mandanten bei Ihnen erkundigt, ob sie in der Serie möglicherweise erkennbar sind?

Schertz: Nein, überhaupt nicht. Weil ich von Anfang an deutlich gemacht habe: In dieser Serie gibt es nicht einen Fall in real, den ich mal hatte. Wir erzählen typische Fallkonstellationen in den Medien. Nein, die, mit denen ich gesprochen habe, sind eigentlich eher gespannt.

Frage: Ist die TV-Serie so etwas wie eine Hommage auf Ihr bisheriges Lebenswerk?

Schertz: Ich finde es schlicht etwas unwirklich. Jan Böhmermann hat mir schon eine Kunstfigur geschaffen als Anwalt Dr. Christian Witz. Da hatte ich immer schon gesagt: Was willst du mehr als Jurist schaffen, als Satirefigur im ZDF-Programm zu werden. Die ehrliche Antwort heißt: Das macht mich im Ergebnis eher demütig.

 

ZUR PERSON

Lavinia Wilson ist bekannt aus zahlreichen Rollen in deutschen und internationalen Filmen für Kino, TV und Streaming. Die 41 Jahre alte Schauspielerin ist zum Beispiel derzeit in dem Film „The Billion Dollar Code“ beim Streamingdienst Netflix zu sehen. Ihr Kinodebüt hatte sie 1991 in Sherry Hormanns Film „Leise Schatten“. Für ihre Rollen in dem ARD-Film „Frau Böhm sagt nein“ (2010) sowie der ZDFneo-Serie „Drinnen − Im Internet sind alle gleich“ (2021) erhielt sie zwei Grimme-Preise.

Christian Schertz ist einer der bekanntesten Medienanwälte in Deutschland. Der promovierte Jurist ist seit den 1990er Jahren auf Presse-, Urheber- und Medienrecht spezialisiert. So gut wie jede Redaktion kennt seinen Namen. Der 55-Jährige gründete 2005 mit Simon Bergmann die eigene Kanzlei Schertz Bergmann mit Sitz in Berlin. Der Jurist ist auch Autor mehrerer Bücher und ist seit vielen Jahren als Honorarprofessor für Medienrecht an der TU Dresden tätig, bekleidet aber auch zahlreiche Lehraufträge an anderen Hochschulen.