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DAPD

Fragwürdiger Umgang mit Fördermittel erschüttert Netzwerk Recherche

Aufgrund fehlerhafter Angaben erhielt Verein offenbar unrechtmäßig Geld.

Hamburg (dapd). Das Netzwerk Recherche (NR) ist die inhaltlich wohl anspruchsvollste Journalistenorganisation in Deutschland, setzt sich vor allem für die Verbesserung der Recherchequalität ein - und für Transparenz. Ausgerechnet zu seiner zehnten Jahrestagung wird der Verein jetzt von einem Vorgang erschüttert, der den NR-Vorstand gesprengt hat und nach Ansicht von NR-Insidern die Staatsanwälte auf den Plan rufen könnte. Hintergrund sind Hinweise darauf, dass der Verein durch falsche Angaben überhöhte Fördermittel von der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) erhalten hat. Die Lage ist verwirrend, auch hinsichtlich der personellen Konsequenzen des Falles.

Der langjährige NR-Vorstandsvorsitzende Thomas Leif sagte der Nachrichtenagentur dapd, er werde nach dem Auslaufen seiner Amtszeit nicht wieder kandidieren. Dies habe mit den Vorgängen um die Fördermittel nichts zu tun. In der Pressemitteilung des Netzwerks heißt es jedoch, er übernehme "die Verantwortung für mögliche Abrechnungsfehler". Der stellvertretende Vorstandschef Hans Leyendecker sagte der dapd, Leifs Abgang hänge direkt mit den Finanzproblemen zusammen.

Am vergangenen Mittwoch hatten NR-Mitglieder eine Mitteilung des Vorstands erhalten, wonach der Verein gegenüber der BpB "möglicherweise fehlerhafte Angaben" gemacht habe. Die Bundeszentrale habe die NR-Jahrestagung im Rahmen einer Defizitfinanzierung (Ausgleich von Finanzlücken, die nach Gegenrechnung der Einnahmen noch bestehen) gefördert. Da der Verein gegenüber der BpB eventuell nicht alle Einnahmen angegeben habe, könne er eine zu hohe Förderung erhalten haben. Wirtschaftsprüfer seien eingeschaltet worden und hätten einen Zwischenbericht vorgelegt.

Das Netzwerk habe vorsichtshalber sämtliche bisher erhaltenen Fördermittel in Höhe von 75.000 Euro zurückgezahlt, und Thomas Leif übernehme die Verantwortung. Es gebe keinerlei Hinweise auf irgendeine Form von persönlicher Bereicherung. An der Integrität Leifs, der Chefreporter des SWR-Fernsehens ist, gebe es keine Zweifel.

Zwtl.: Heftiger Krach hinter den Kulissen

Soweit die erste, offizielle Version. Hinter den Kulissen hatte es zu diesem Zeitpunkt nach Informationen der Nachrichtenagentur dapd schon heftig gekracht. Aufgekommen war der Vorgang bei einer Vorstandssitzung am 28. Mai. Dort wurde einstimmig die Einschaltung der Wirtschaftsprüfer beschlossen. Vor kurzem eskalierte die Lage intern.

In dem Gremium gab es offenbar zwischen Leif und den anderen Mitgliedern heftige Auseinandersetzungen bei der Bewertung der Vorgänge. Nach Angaben mehrerer Teilnehmer erklärte der restliche Vorstand, dass er mit Leif nicht mehr zusammenarbeiten könne. Nach heftigen Diskussionen habe es eine Einigung gegeben, nach der Leif den Vorgang erläutern, die Verantwortung übernehmen und seinen Rücktritt erklären sollte.

Auf der Vorstandssitzung am Freitagabend am Rande der NR-Jahrestagung sagte Leif aber lediglich, er werde nach Auslaufen seiner Amtszeit nicht wieder antreten. Er erklärte aber nach Meinung seiner Vorstandskollegen den Hintergrund der Fördermittel-Probleme sowie sein Ausscheiden nicht wie verabredet. Daraufhin kündigte Leyendecker seinen Rücktritt an, mehrere andere Vorstandsmitglieder schlossen sich ihm an. Es entstand ein Wirrwarr, an dessen Ende der Rest-Vorstand sich entschloss zunächst weiterzuarbeiten. Leif ist nicht mehr NR-Vorsitzender, will aber von einem Rücktritt nichts wissen. Seine Amtszeit sei einfach abgelaufen, nun müssten Jüngere den Verein führen.

Leyendecker sagte der dapd, es seien "gravierende Fehler" gemacht worden. "Die Transparenz innerhalb des Netzwerks war nicht ausreichend". Für die Zukunft will der bis zu Neuwahlen gegen Jahresende geschäftsführend weiter arbeitende Vorstand neue, transparentere Strukturen schaffen. Ein Finanzbericht mit einer Bilanz des aktuellen Falles soll im Herbst vorgelegt werden. Leyendecker will sein Amt dann auch abgeben. Statt das zehnjährige Bestehen feiern zu können, markiert der Vorgang für das Netzwerk den Beginn einer Neuaufstellung - mit bitterem Beigeschmack.