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Flammender Appell zweier Chefredakteure für starken Lokaljournalismus

Flammender Appell zweier Chefredakteure für starken Lokaljournalismus Michael Husarek, Peter Müller (r.)

Die neue Bundesregierung lässt regionale Medien im Stich – trotz Sonntagsreden zum Schutz der Demokratie. Michael Husarek und Peter Müller zeigen, wie dramatisch die Lage wirklich ist. Was die Chefredakteure konkret fordern und was jetzt in der Branche passieren muss.

Die Demokratie schützen! Na klar, das wollen sie angeblich alle, die Politikerinnen und Politiker aus der Mitte der Parteienlandschaft – egal, ob sie im Bund oder auf der Länderebene aktiv sind. Zumindest sagen sie das in ihren Sonntagsreden. Gerne auch vor Verlegerverbänden und uns Chefredakteurinnen und Chefredakteuren gegenüber.

 

Wenn man den Koalitionsvertrag der neuen schwarz-roten Bundesregierung liest, ist von einer konkreten Umsetzung all dieser Beteuerungen kaum etwas zu merken. Keine belastbare Zeile, die Medienschaffenden hilft, keine einzige Zusage, die eine Perspektive für die bereits in wirtschaftliche Schieflage geratenen Verlage beinhaltet. Kein einziger Anklang an die oben erwähnten Sonntagsreden.

Das ist nicht nur für viele Verlagshäuser schwierig, sondern auch für unsere Demokratie. Ein Land ohne funktionierende Regional- und Lokalzeitungen wäre ein armes Land. Denn es sind gerade die Lokalzeitungen, die den Mächtigen auf die Finger schauen: Lokaljournalistinnen und -journalisten decken Korruption im Rathaus ebenso auf wie Skandale in der Landesregierung. Lokalmedien sind da, wo der Lebensmittelpunkt der Menschen ist – vor Ort. Lokaljournalisten gehen in die Schulen und klären auf, woran man Fake News erkennt. So – und auf vielfältige andere Weise – kommen Lokalmedien ihrer Kontrollfunktion als Wächter nach, eine Funktion, die auf der im Grundgesetz verankerten Pressefreiheit beruht.

 

Nur: wie lange noch? Es ist kein Geheimnis, dass immer mehr Verlagshäuser in Schwierigkeiten stecken, die ersten sogar rote Zahlen schreiben. Und es ist noch gar nicht so lange her, dass sich die Politik für eine Mehrwertsteuerabschaffung für Presseerzeugnisse starkgemacht hatte. Erste Entwürfe während der Koalitionsverhandlungen beinhalteten diese Senkung für „gedruckte und digitale periodische Presseprodukte“ auf null Prozent. Am Ende aber haben die Chefs der drei Koalitionsparteien abgewogen – und uns Medienschaffende offenbar als zu leicht befunden. Warum ist das bedauerlich? Weil ein Absenken der Mehrwertsteuer denjenigen Verlagen, die kaum mehr finanziellen Spielraum haben, dringend benötigte Unterstützung bei der digitalen Transformation geliefert hätte.

 

Stattdessen werden wir nun weiter Durchhalteparolen zu hören bekommen. Doch das ist angesichts der ernsten Lage zu wenig! Wir wollen das nicht länger unkommentiert lassen. Wir verantworten beide einigermaßen große Redaktionen, in Bayern zählen wir jeweils zu den größten unabhängigen – also noch nicht von Medienkonzernen geschluckten – Verlagen. Wir sind beide davon überzeugt, dass diese familiengeführten Unternehmen weiterhin eine wichtige Funktion für unser Land erfüllen. Und deshalb gehen wir den Weg in die Öffentlichkeit.

 

Denn von Familien mit hohem publizistischem Verantwortungsbewusstsein geführte Verlage – wie in Augsburg oder Nürnberg – sind das Lebenselixier einer funktionierenden Demokratie. Unser Hinschauen deckt Missstände auf, unsere Reporterinnen und Reporter gehen in unseren Verbreitungsgebieten dorthin, wo sonst niemand hinsieht. Ob es die preisgekrönten Beiträge in der Augsburger Allgemeinen über die Foltervorwürfe in der Justizvollzugsanstalt Gablingen sind oder die Recherchen der Nürnberger Nachrichten über das rechtsextremistische NSU-Netzwerk: Ohne starke Regionalmedien kämen viele Missstände gar nicht mehr ans Licht. Diese Arbeit unserer Kolleginnen und Kollegen ist im besten Wortsinn demokratiestabilisierend.

 

Umso erschreckender blicken wir auf die Realität in vielen lokalen Medienhäusern: Werbemarkt-Umsätze schrumpfen, Print-Abozahlen sind bestenfalls in ländlichen Regionen noch einigermaßen stabil. Alle Versuche, mit kreativen, durch User-Needs-Ansätze und datengetriebene Erkenntnisse optimierten Online-Auftritten mehr Digitalabos zu generieren und somit Geld zu verdienen, stocken – oder sind nicht so erfolgreich, wie es nötig wäre, um neue Umsätze zu schaffen. Während überregionale Verlage ihre Inhalte deutschlandweit an Leserinnen und Leser bringen können, ist der Markt für Regionalmedien aufgrund ihrer lokalen Ausrichtung naturgemäß beschränkt. Anders formuliert: Die Zeit läuft uns davon.

 

Rein digitale Lokalprojekte, wie es sie unter anderem in skandinavischen Ländern gibt, liefern zwar gute Ideen. Allerdings erreichen diese bewundernswerten Projekte nicht annähernd die Umsätze, die es braucht, um Vollredaktionen zu finanzieren – die Voraussetzung für relevante, beispielsweise investigative Recherchen. In der Folge sind viele Redaktionen bereits kleiner geworden, ein weiteres Schrumpfen zeichnet sich ab. Und statt Chefredakteuren führen mancherorts bereits Unternehmensberater in Redaktionen das Wort.

 

All das bleibt nicht ohne Folgen – auch und gerade für die ohnehin gefährdete Demokratie. Wissenschaftliche Studien belegen, wie sich der Rückzug von Medien auf das Wahlverhalten auswirkt. In Baden-Württemberg profitiert die AfD in sogenannten zeitungsfreien Kreisen – dort sind die Wahlergebnisse messbar besser als in Regionen, in denen noch eine Lokalredaktion ihren Sitz hat. Schon vor Langem ergaben ähnliche Studien in den USA, dass der Rückzug von Lokalmedien und die daraus resultierenden „blinden Flecken“ Umweltkriminalität und Korruption haben steigen lassen. Dennoch wird von Seiten der Politik sehenden Auges der Rückzug der Medienhäuser aus der Fläche in Kauf genommen.

 

Doch Jammern allein reicht nicht. Um der Politik ein Argument für unterstützende Maßnahmen wie eine Mehrwertsteuersenkung zu geben, müssen sich lokale Medienhäuser auf das besinnen, was sie immer starkgemacht hat: lokale Verwurzelung und das Versprechen, täglicher Begleiter der Leserinnen und Leser zu sein – von der Wohnungssuche bis zum Schulprojekt zum Qualitätsjournalismus, vom kritischen Blick auf die Rathauspolitik bis zum (Video-)Bericht vom E-Jugend-Turnier.

 

Leider sehen sich viele Häuser gezwungen, einen anderen Weg zu gehen. Regionale Medien (müssen) versuchen, über SEO-Schlagzeilen Werbeeinnahmen zu generieren – und begeben sich so in Abhängigkeit weltweit operierender Internetriesen. Gestandene Lokaljournalistinnen und -journalisten machen Platz für KI-getriebene sogenannte Blaulichtportale. All das mag wirtschaftlich ein Stück weit verständlich sein – mit dem Qualitätsversprechen von demokratiestützendem Lokaljournalismus hat es allerdings nichts mehr zu tun. Für die Politik ist es so ein Leichtes, sich ihren Versprechen und Verpflichtungen zu entziehen. Denn: Wer als Qualitätsmedium staatliche Flankierung erwartet, muss auch Qualitätsjournalismus liefern. Womöglich geht darüber hinaus sogar der Kaufanreiz für Digitalabos verloren.

 

Studien – wie zuletzt von der LMU München – zeigen, dass „die Bezahlung von Nachrichten [als] Beitrag zum Journalismus als wichtigem Teil der Gesellschaft“ eine wichtige Motivation für heutige Kundinnen und Kunden ist, journalistische Produkte zu erwerben. Es gibt also eine Chance, mit qualitätsvollen Angeboten den Weg in die Zukunft zu beschreiten!

 

Überregionale Verlage, die ihr Internet-Angebot im ganzen deutschsprachigen Raum vermarkten können, haben sich längst zu Rechercheverbünden zusammengeschlossen, um ihre Aufgabe für die Demokratie weiter wahrnehmen zu können. Verbünde wie von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung sind eine Reaktion überregionaler Medien, um groß angelegte Recherchen weiter zu ermöglichen. Wir brauchen ähnliche Ansätze im Lokalen – und spannen daher die Investigativ-Teams der Augsburger Allgemeinen und der Nürnberger Nachrichten informell enger zusammen.

 

Ein kleiner Schritt, sicher. Aber einer, der zeigt, worauf es (uns) ankommt: Regionale Medien können einen entscheidenden Unterschied machen, damit die Demokratie auch im Kleinen weiter lebendig bleibt – und radikale Umtriebe eingedämmt werden. Das allerdings, das sollte dann auch der neuen Regierung um Kanzler Friedrich Merz und Vizechef Lars Klingbeil eine neue Bewertung ihres Neins zur Presseförderung oder Mehrwertsteuersenkung wert sein.

 

Immerhin: Es geht um unsere Demokratie!

Als Chefredakteure von Regionalmedien fordern wir, diese Sorgen ernst zu nehmen. Unsere Redaktionen leisten täglich einen Beitrag für den Fortbestand unserer Demokratie – in einer von Populismus und Extremismus bedrohten Gesellschaft! Das hat Unterstützung verdient.


Michael Husarek, Chefredakteur Verlag Nürnberger Presse und Peter Müller, Co-Chefredakteur „Augsburger Allgemeine“ in einem Gastbeitrag auf kress.de


Fotos: VNP, Husarek; Silvio Wyszengrad, Müller