Vermischtes
KNA

Europäische Suchmaschinen machen sich unabhängig von Google

Es muss nicht immer Google sein. Auf dem Markt der Suchmaschinen gibt es viele Alternativen. Ein Nachteil: Viele nutzen trotzdem technische Bausteine des Platzhirschen. In Europa wird an einer souveränen Alternative gearbeitet.

Berlin (KNA) – Digitale Souveränität – es ist das „Buzzword“ der Stunde. Erst am Dienstag fand dazu ein „Summit On European Digital Sovereignty“ in Berlin statt, zu dem Bundeskanzler Friedrich Merz und der französische Präsident Emmanuel Macron politische Vertreter und die europäische Tech-Branche geladen hatten. Und am Freitag lässt das Grimme-Institut im Rahmen des „Grimme-Labs“ über „Digitale Souveränität und die Verantwortung der Medien“ diskutieren – interessanterweise in der Höhle des Löwen, der Google-Repräsentanz in der Berliner Tucholskystraße.


Das Ziel: Nicht nur soll sich Europa von Technologie aus den USA und China unabhängiger machen, sondern auch in heimische Technologie investieren, um wettbewerbsfähig zu werden. Dabei betonten Digitalminister Karsten Wildberger (CDU) und die Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, Henna Virkkunen, beim European Summit, dass Künstliche Intelligenz hier eine Schlüsseltechnologie darstelle.
KI ist auch eine Kernmotivation für einen neuen europäischen Suchindex mit dem Namen Staan, kurz für „Search Trusted API Access Network“. Entwickelt haben ihn die zwei größten Suchmaschinen-Hersteller in Europa, Ecosia aus Deutschland und Qwant aus Frankreich. „Eine eigene Suchinfrastruktur ist ein entscheidender Schritt für die digitale Pluralität und den Aufbau einer souveränen europäischen Alternative“, sagte ein Ecosia-Sprecher dem KNA-Mediendienst. Die Infrastruktur wollen die beiden Unternehmen nach eigener Aussage auch ausdrücklich dazu nutzen, um eine ethische KI zu entwickeln.


Platzhirsch Google
Als Suchindex oder auch Web-Index bezeichnet man ein Verzeichnis, in das alle verfügbaren Webseiten aufgenommen werden. Ähnlich einem Telefonbuch enthält es die Adressen der Seiten im Netz, aber auch noch weitere Informationen über die Seiten, etwa Schlagwörter zum Inhalt. Die bekanntesten Suchindexe stammen von Google und Bing aus den USA, von Yandex aus Russland und Baidu aus China. Aber auch Qwant betreibt einen eigenen Suchindex sowie die weniger bekannte Suchmaschine Brave Search.


Da Entwicklung und Betrieb eines Indexes teuer und aufwendig sind, greifen viele Suchmaschinen auf die Indizes von Bing und Google zurück. Google ist nicht nur im Bereich Suchmaschine weltweit führend, sondern auch im Bereich Suchindex. Zur Einordnung: Während Google Stand September weltweit einen Marktanteil von 82,2 Prozent hat, besetzt Bing 10,5 Prozent des Marktes. Hinter Bing steht der Tech-Riese Microsoft.


Bing hat zudem die Schnittstelle zu seinem Index veröffentlicht, über den auch andere Suchmaschinen wie Ecosia sowie DuckDuckGo und Brave Search darauf zugreifen. Auch Qwant nutzt neben dem eigenen Suchindex den von Bing – bei der Bildersuche und dort, wo Informationen zu angefragten Webseiten fehlen. Ecosia greift zudem auch auf Googles Suchindex zu.


In Zukunft wollen Ecosia und Qwant ihre Suchmaschinen mit ihrem eigenen Index betreiben. Die beiden europäischen Unternehmen kooperieren nun unter dem Namen „European Search Perspective“ (EUSP) und wollen einen Suchindex anbieten, der vor allem auf dem europäischen Markt mit den US-amerikanischen Diensten Google und Bing konkurrieren soll.


Staan kommt gerade richtig
In einem fließenden Übergang wollen Ecosia und Qwant ihre Suchmaschinen jetzt auf Staan umstellen. Bis Ende des Jahres sollen die Hälfte der französischen und 30 Prozent der deutschen Suchanfragen über Staan laufen, sagte der Ecosia-CEO Christian Kroll dem Fachdienst heise online. Für Nutzer sei dabei zunächst nicht erkennbar, über welchen Index ihre Suchanfrage bearbeitet wurde. Eine solche Funktion will Ecosia nach eigenen Angaben aber noch prüfen.


Auch andere Suchmaschinen sollen Staan mit entsprechender Lizenz bei sich integrieren können. Dafür habe man die notwendigen technischen Voraussetzungen geschaffen. Ecosia und Qwant wollen damit nach eigenem Verständnis eine „europäische Lösung“ bereitstellen, die den Datenschutz sowie die Privatsphäre und Datensicherheit der Nutzer achtet. Allerdings lässt sich ähnlich wie bei Google oder Bing nicht nachprüfen, welche und ob ihre Suchmaschinen Nutzerdaten sammeln.


Staan ist inzwischen seit August im Einsatz. Das war kein Moment zu früh, weil Microsoft parallel die Schnittstelle zu Bings Suchindex abschaltete. Wie das Online-Magazin Wired berichtete, wolle der Konzern den Suchindex nicht weiterentwickeln und betreibt ihn inzwischen nur noch auf Sparflamme. Allein die Suchmaschine DuckDuckGo, Bings bekannteste Drittnutzerin und in der Suchmaschinen-Rangliste weltweit auf Platz 5, soll den Index auch weiterhin nutzen dürfen.


Wie KI die Websuche erobert
Microsofts Entscheidung mag mit der KI-getriebenen Unternehmensstrategie zusammenhängen. Microsoft ist größter Investor beim ChatGPT-Hersteller OpenAI. Das bekannte KI-Sprachmodell nutzen viele anstelle einer Suchmaschine. Auch Bing wurde inzwischen zu einem KI-gestützten Assistenten umgebaut, um dem Suchmaschinen-Urgestein Google Konkurrenz zu machen.


Inzwischen setzt aber auch Google bei seiner Suchergebnis-Anzeige voll auf KI. So sehen Nutzer über der vertrauten Trefferliste standardmäßig eine sogenannte KI-Zusammenfassung, die durch Googles KI Gemini generiert wird.


Auch Ecosia und Qwant wollen daher nicht nur einen unabhängigen Suchindex für die Recherche im Internet entwickeln, sondern auch verstärkt in Entwicklung und Betrieb von KI investieren. Damit hoffen sie, für Nutzer attraktiver zu werden und eine zentrale Ressource für die europäische Datenindustrie zu sein. Kroll vertraut seinem Team und strebt an, Ecosia in einem Jahr als Alternative zu ChatGPT zu positionieren, wie er in einem Interview mit dem Podcaster Marcus Seidel auf YouTube Ende Oktober erklärte: Mehr noch, er wolle Ecosia zum größten KI-Unternehmen in Europa machen.


Werbeeinnahmen und externe Investoren
Ecosia bezeichnet sich selbst als gemeinnützige Suchmaschine und soziales Unternehmen. Alle Gewinne setzt es für Maßnahmen im Klimaschutz ein. So pflanzt es in Kooperation mit Initiativen vor Ort Bäume in verschiedenen Regionen der Welt oder investiert in erneuerbare Energien in Schwellen- und Entwicklungsländern.


Wie auch Google und Microsoft finanziert sich Ecosia über Werbeeinnahmen. Laut Webseite bestreitet man damit die Betriebskosten. Werbeanzeigen werden mit den entsprechenden Werbe-Tools von Google und Microsoft geschaltet. Ecosias Non-Profit-Modell schränkt dabei ein, wie das Unternehmen insgesamt wirtschaften kann.


Das deutsch-französische Tandem EUSP ist dabei aber nicht gemeinnützig, sodass es sich externes Kapital von Investoren beschaffen kann. Ecosia und Qwant finanzieren als Joint Venture die Entwicklung und den Betrieb von Staan gemeinsam.


Die Nachfrage bestimmt
Inwieweit sie mit Staan Erfolg haben werden, hängt laut Kroll auch davon ab, ob der öffentliche Sektor Ecosia oder Qwant nachfragt. In Deutschland würden bislang nur wenige Behörden, darunter das Bundesumweltministerium, Ecosia nutzen. Dagegen stärkt Macron in Frankreich Qwant deutlicher den Rücken. Er bezeichnete es nicht nur als „französisches Google“, Qwant ist auch bereits Standard-Suchmaschine in der öffentlichen Verwaltung Frankreichs, so Kroll.


Ein Alleinstellungsmerkmal hat EUSP mit Staan in Europa nicht. Seit 2022 gibt es die Initiative OpenWebSearch auf EU-Ebene, die ebenfalls als Reaktion auf Googles Dominanz entstanden ist. Sie befindet sich zwar noch in der Beta-Phase, bietet mit dem European Open Web Index (OWI) aber ebenfalls einen Suchindex, der weniger kommerziell ausgerichtet ist. Bürger sowie Wissenschaftler und Unternehmen sollen ihn frei als Basis für eigene Projekte und Produkte nutzen können.

 

 

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