Vermischtes
dpa

60 Jahre Presserat − „Die Arbeit ist komplexer geworden“

Dem Deutschen Presserat geht die Arbeit nicht aus. Die Zahl der Beschwerden steigt. Und einfacher wird es auch nicht gerade, sie zu bewerten. Vom digitalen Wandel mal ganz abgesehen.

Berlin (dpa) − Das Prinzip der Selbstkontrolle ist geblieben, aber in 60 Jahren hat sich die Arbeit des Deutschen Presserats in vieler Hinsicht verändert. „Es gibt eine deutliche Zunahme der Zahl der Beschwerden“, sagt Presserats-Geschäftsführer Lutz Tillmanns. Das Interesse von Lesern, auf kritische Weise an journalistischer Arbeit Anteil zu nehmen, werde größer. So erreichten das Selbstkontrollorgan der deutschen Printmedien im vergangenen Jahr 2358 Beschwerden zu Veröffentlichungen, vor zwei Jahren waren es mit 2009 noch spürbar weniger gewesen. 

 

Aber nicht nur die Zahl der Beschwerden steigt. „Die Arbeit des Presserats ist komplexer geworden, weil die journalistische Arbeit komplexer geworden ist“, sagt Tillmanns, „sie ist schneller geworden durch das Internet.“

Die drei Beschwerdeausschüsse des Presserats, die nach wie vor viermal jährlich tagen, können Rügen und Missbilligungen aussprechen, wenn sie Verstöße gegen die Richtlinien des Pressekodex feststellen. Das hat nach Einschätzung von Volker Lilienthal, Professor für Praxis des Qualitätsjournalismus an der Universität Hamburg, durchaus eine Wirkung: „Wenn man vom Presserat eine Rüge bekommt, dann ist das für den Chefredakteur unangenehm, aber auch für den Redakteur, der das geschrieben hat.»

Auch wenn der Presserat keine Strafen verhängt und keine Bußgelder eintreibt, hat er ein gewisses Gewicht: «Ich glaube schon, dass es in den Redaktionen immer wieder Diskussionen gibt, und dass der Presserat zur Schärfung der Maßstäbe beiträgt“, sagt Lilienthal. „Es ist ja auch so, dass der Presserat über viele Jahre eine Spruchpraxis entwickelt hat, aus der man als Journalist einiges lernen kann.“ Die daraus ablesbaren Standards könnten Medien durchaus helfen, etwa wenn es darum geht, nach einem Anschlag über die Veröffentlichung eines Fotos von Opfern zu entscheiden − oder des Namens eines Attentäters.

„Man sollte eigentlich vorher reinschauen, bevor man in Zweifelsfällen etwas so oder so schreibt“, sagt Lilienthal. „Es ist aber anzunehmen, dass das nicht oft passiert. Viele gestandene Redakteure kennen ja nicht mal den Pressekodex. Aber das ist nicht das Versäumnis des Presserates.»

Lutz Tillmanns plädiert dafür, den Geltungsbereich des Pressekodex von Printmedien und deren Onlineauftritten „auf alle journalistisch-redaktionellen Angebote von Telemedien und auch auf den Rundfunk“ auszuweiten.

„Ich stelle in den vergangenen Jahren stärker fest, dass die Diskussion über ethische Bewertungen von journalistischen Telemedienangeboten und im Rahmen der Rundfunkprogramme auf Grundlage des Pressekodex geführt werden“, so der Presserats-Geschäftsführer. „Und die Landesmedienanstalten, die den privaten Rundfunk im Auge haben, nutzen den Pressekodex, um ethische Bewertungen abzugeben. Das ist ja gut nachvollziehbar, müsste aber noch ein Stück weiter standardisiert und harmonisiert werden.»

Unverändert ist aus Tillmanns Sicht die Grundhaltung des Presserates, Kritik an den Medien in Ruhe begegnen zu wollen. „Es kommt nicht darauf an, möglichst schnell eine ethische Bewertung vorzunehmen“, betont er. „Man muss sich dafür auch die nötige Zeit lassen, das ist immer das Ergebnis eines Diskurses. Nicht Schnelligkeit ist oberstes Ziel, sondern Nachhaltigkeit.»