TV
DPA

Wein, Zigaretten, Politik: 60 Jahre "Internationaler Frühschoppen"

Der Urschrei zum Talk im deutschen Fernsehen ertönte bei Moselwein und Zigarettenqualm: Vor 60 Jahren wurde erstmals der "Internationale Frühschoppen" kredenzt. Politische TV-Debatten waren bis dahin tabu, weiß Esteban Engel.

Berlin (dpa) - Peter Scholl-Latour blickt wehmütig zurück. "Damals wusste doch jeder, wer Mobutu und Lumumba waren." Als 1953 der "Internationale Frühschoppen" im deutschen Fernsehen an den Start ging, sei das Interesse am Weltgeschehen noch groß gewesen, heute hätten die Deutschen keine Ahnung mehr, beklagt sich der Auslandsreporter am überdimensionierten Nierentisch.

Zum "Frühschoppen"-Jubiläum hat der Ereigniskanal Phoenix für die Sendung am 17. November (13.00 Uhr) einige Veteranen der legendären Gesprächsrunde wieder versammelt - neben Scholl-Latour (89) den Reisereporter Gerd Ruge (85) und Ex-WDR-Intendant Fritz Pleitgen (75).

Allerdings ist es mit Mosel- oder Rheinwein längst vorbei und Rauchen ist auch verboten. Seit 2002 wird der "Frühschoppen" auf Phoenix ausgestrahlt, wenn der "Presseclub" im "Ersten" ausfällt. Serviert wird Nichtalkoholisches.

Das war mehr als 30 Jahre und rund 1800 "Frühschoppen" anders. Sein Erfinder Werner Höfer (1913-1997) hatte die Sendung fest im Griff. In wechselnder Besetzung ließ er jeden Sonntag "sechs Journalisten aus fünf Ländern" über die Weltlage diskutieren. Wenn es ihm zuviel wurde, rief er "Stop" und lenkte die Debatte wieder in geordnete Bahnen. Am Ende erhob die Herrenrunde die Gläser auf eine bessere Welt.

Frauen waren mit von der Partie - allerdings nur im Hintergrund, wenn sie Weißwein in Römergläser einschenkten. Die Erkenntnis, dass es auch Journalistinnen gab, setzte sich bei Höfer eher spät durch.

Der "Frühschoppen" wurde zum Ritual, zum Fixpunkt zwischen Kirchgang und Mittagessen, wie der heutige WDR-Intendant Tom Buhrow aus seiner Kindheit erzählt. Mit dem Vater habe er vor dem Fernseher gehockt, derweil Mutter in der Küche stand - so oder ähnlich ging es in Millionen Wohnungen zu. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz erinnert sich allerdings anders.

Seine Mutter, eine Mitbegründerin der CDU, habe darauf bestanden, den "Frühschoppen" zu gucken, berichtete der Sozialdemokrat bei der Aufzeichnung der Geburtstagsendung in Berlin.

Das Mittagessen wurde sonntags auf den Nachmittag verschoben. Wie viele in seiner Generation, sei auch er vom "Frühschoppen" politisiert worden. Nach der NS-Zeit habe die Gesprächsrunde den Deutschen die Furcht vor kontroversen Debatten genommen. Zur 1000. Ausgabe gratulierte sogar Kanzler Willy Brandt (SPD) persönlich im Studio.

Ob Kalter Krieg oder deutsche Teilung - in den Nachkriegsjahren sei das Interesse an der Meinung von Journalisten, die aus Deutschland für ihre Redaktionen in aller Welt berichteten, groß gewesen, sagte WDR-Intendant Buhrow. Seit der Wiedervereinigung richte sich der Blick nach innen.

Dass die Deutschen lange mit der weiten Welt fremdelten, zeigt eine Anekdote, von der Egon Hoegen (85) berichtete, der Ansager der Expertenrunde und auch bekannt aus der Verkehrserziehungsserie "Der 7. Sinn". "Egon, wir haben da einen aus Kuala Lumpur. Sei doch so nett und frag' ihn mal, wie man seinen Namen ausspricht. Dann flüsterst Du ihn mir zu", habe ihn Höfer gebeten.

Die Namen von Kongos Unabhängigkeitshelden Patrice Lumumba und seines Gegenspielers Mobutu Sese Seko ging Reporter-Legende Scholl-Latour dagegen ganz locker über die Lippen.

Esteban Engel