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NEWSROOM-Doku-Tipp: "Vom Traum zum Terror - München 72"

Peter Lohmeyer war zehn, als er 1972 Olympia im Fernsehen verfolgte. 40 Jahre später erinnert er sich noch immer an die Fröhlichkeit. Eingebrannt hat sich aber auch das Auto-Kennzeichen "FFB": Jedes Mal denkt er sofort an das Blutbad von Fürstenfeldbruck - an München 72.

Hamburg (dpa) - Der Traum wird zum Albtraum: Als palästinensische Terroristen 1972 das Olympiamärchen von München zerstören und israelische Sportler gefangen nehmen, trifft Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher einen einsamen Entschluss - er bietet sich als Geisel an. "Wenn man ein solches Amt hat, muss man ihm gerecht werden", sagt der heute 85-Jährige im Doku-Drama "Vom Traum zum Terror - München 72". "Und wenn ich die Möglichkeit habe, das Leben dieser jungen Menschen zu retten, dann ergibt sich daraus auch eine Pflicht." Auch ganz persönlich wird der Politiker: Noch einmal habe er vor dem Angebot, das die Geiselnehmer später ablehnten, seine Nächsten angerufen. "Einfach nur, um die Stimme zu hören, denn das war ein Weg mit offenem Ausgang."

Kurz vor Eröffnung der Olympischen Spiele in London und wenige Wochen vor dem 40. Jahrestag des Anschlags, der am Morgen des 5. Septembers 1972 begann und in der Nacht in einem Blutbad endete, erinnert das "Erste" an diesem Sonntag (22. Juli, 21.45 Uhr) an die dramatischen Ereignisse - vier Monate nach dem im ZDF ausgestrahlten Spielfilm "München 72 - Das Attentat". Nun setzt die ARD-Produktion mit dem Genre Doku-Drama zwar auf den Mix aus Schilderungen von Zeitzeugen und rekonstruierten Szenen, allerdings legte auch der ZDF-Film viel Wert auf historisch korrekte Fakten und beschränkte sich auf wenig Fiktionales - die Zeitzeugen kamen in einer Dokumentation im Anschluss zu Wort.

Für seine gelungene, informative Schilderung des Attentats, das in sorglose Spiele einbrach und 17 Menschen das Leben kostete, hat das Buch- und Regie-Duo aus "Spiegel-TV"-Chefredakteur Marc Brasse und Florian Huber "einige Meter Prozessakten" und zahlreiche Interviews ausgewertet. Insbesondere Genschers Teilnahme an ihrem Projekt heben die Macher hervor. Monatelang hätten sie dies vergeblich versucht. Dass er plötzlich doch reden wollte, habe sie selbst überrascht. Genscher habe "erstmals ausführlich und sehr persönlich vor der Kamera über die schlimmsten 24 Stunden seines Leben" gesprochen, betont ARD-Programmdirektor Volker Herres.

Außerdem seien unveröffentlichte Aufnahmen der israelischen Delegation und unbekannte Fotos der gescheiterten Geiselbefreiung zu sehen. Als Zeitzeugen sind etwa die Sportler Ulrike Meyfarth, Heide Rosendahl und ihre Freundin aus dem Israel-Team, Esther Roth-Shachamarow, Funktionäre, Polizisten und Politiker dabei, als Schauspieler neben anderen Peter Lohmeyer. Er, der damals als Zehnjähriger vorm Fernseher saß, sagte der Nachrichtenagentur dpa: "Ich wusste vieles gar nicht, wusste zum Beispiel nicht um die Ängste von Hans-Dietrich Genscher." Auch dass das Olympische Dorf einen Bürgermeister - seine Filmrolle - hatte, war ihm neu.

"Das ist genau, was man nicht will: abschrecken", sagt Lohmeyer als Walther Tröger zu Beginn des 90-minütigen Streifens. Polizisten in Uniformen passen nicht ins Bild, heiter und offen soll Olympia sein - nichts mehr an die Nazi-Spiele von 1936 in Deutschland erinnern. "Man freute sich so - vor allem das habe ich noch vor Augen", erzählte der Schauspieler. "So offen hatte Deutschland sich bis dahin noch nie gezeigt und konnte es danach auch nie wieder", sagte er und betonte angesichts heute teils grotesk wirkender Fehler der Einsatzkräfte: "Das sieht natürlich dilettantisch aus, aber das war das erste Mal. Vorher hatte es so etwas noch nie gegeben."

"The Games must go on" - die Entscheidung, die Spiele nach dem blutigen Ende des Geiseldramas auf dem Flughafen Fürstenfeldbruck doch fortzusetzen, stieß auf Kritik. Aber nur wenige Teilnehmer reisten ab, darunter der ebenfalls im Film zu Wort kommende Sprinter Manfred Ommer. "Eine schwierige Entscheidung", meinte Lohmeyer. "Ich glaube, es war richtig, sie fortzusetzen." In Erinnerung geblieben vom ersten großen Sportereignis, das er bewusst verfolgte, seien ihm fröhliche Bilder. Doch eingebrannt hat sich auch Fürstenfeldbruck. "Das geht mir heute noch so: Wenn ich das Autokennzeichen "FFB" sehe, muss ich sofort daran denken - an München 72."