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Stadtmagazine: "Time Out" in London jetzt kostenlos

Das Londoner Szenemagazin "Time Out" hat sich zur Gratis-Zeitung gewandelt. Mit einer Versechsfachung der Auflage will der Verlag das Anzeigengeschäft beleben. Branchenkenner sehen durchaus Chancen.

London - Wer in London schon einmal kurz nach Feierabend eine U-Bahn-Station betreten hat, weiß um die Beliebtheit von Gratiszeitungen bei den Einheimischen. In der Themse-Metropole sind die "free papers" ein Geschäftsmodell, das offensichtlich funktioniert. In den Stationen liegen sie an Eingängen aus oder werden den Vorbeieilenden direkt in die Hand gedrückt.

In London passiert das mindestens zweimal am Tag, am Morgen mit der kostenlosen Zeitung "Metro", gegen Abend gibt es dann den "Evening Standard" gratis. Zu ihnen gesellt sich seit dieser Woche die "Bibel" der Unterhaltungsindustrie - das Szenemagazin "Time Out".

Das Stadtblatt soll ab sofort wöchentlich gratis verteilt werden und somit die kostenpflichtige Magazinversion ablösen, deren Preis zuletzt bei 3,25 Pfund (gut 4 Euro) lag. Die erste Umsonst-Ausgabe der 1968 gegründeten Zeitschrift ging am Dienstag mit einer Auflage von 300 000 Exemplaren an den Start. Nach Angaben des Unternehmens lag die Auflagenstärke vor dem Relaunch bei 55 000.

In den Augen des Londoner Medienanalysten Douglas McCabe vom Analyse-Institut Enders Analysis ist es ein kluger Schritt. "Das Magazin kann so nicht nur eine größere Leserschaft erreichen, sondern sich auch wieder bei einer jüngeren Generation etablieren, die das Printprodukt am Kiosk längst nicht mehr gekauft hat. "Time Out" kann sich so als Marke neu schaffen."

In Deutschland wird das Modell der Gratiszeitungen in der Branche kritisch gesehen. Anja Pasquay vom Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) sagt: "Deutsche Verlage haben sich immer gegen kostenlose Tageszeitungen gewehrt, da sie der Überzeugung sind, dass für redaktionelle Leistung auch bezahlt werden sollte."

Aus Sicht der deutschen Verleger wird durch die fehlenden Einnahmen aus dem Bezugspreis die journalistische Unabhängigkeit gefährdet. Kostenlose Zeitungen hingen stark vom Werbemarkt oder von Dritten ab. "Die größte Aussicht auf Erfolg haben kostenlose Zeitungen, wenn sie als Monopolist nicht im Wettbewerb mit anderen Titeln stehen, sonst droht eine zusätzliche Kannibalisierung am Leser- wie am Werbemarkt. Das war in den vergangenen Jahren in Europa häufig der Fall, gerade auch im Vereinigten Königreich", meint Pasquay.

Für Analyst McCabe ist der Schritt zur kostenlosen Verteilung im britischen Markt dagegen wirtschaftlich logisch. Auf der Internetseite des "Time Out"-Magazins gebe es die meisten Informationen und Termine ohnehin längst umsonst. Daneben könne mit einer kostenlosen Printausgabe in der 14-Millionen-Metropole des Großraums London eine größere Leserschaft erreicht werden - und das ist für Werbekunden interessant.

"Die Auflagenstärke hat es für "Time Out" zuletzt schwierig gemacht, Werbekunden zu finden. Ein Magazin mit einer Auflage von 55 000 wird als Nischenprodukt wahrgenommen, für das weniger Werbetreibende infrage kommen. Ein Magazin mit einer Auflage von 300 000 hingegen ist plötzlich für alle interessant."

Für den Neustart haben die Macher von "Time Out" das Heft umgestaltet, ein bisschen entschlackt, doch das Prinzip ist das alte: Geschichten und Veranstaltungshinweise rund ums Ausgehen in London. In einer Pressemitteilung sagte das Unternehmen, man wolle das Printprodukt mit diesem Schritt an die digitalen Angebote von "Time Out" anpassen. Nach Angaben des Verlags war die Werbefläche für die erste Gratisausgabe bereits zwei Wochen vor Erscheinen ausverkauft.

McCabe glaubt, dass der Erfolg eng an die Verpflichtung zur journalistischen Qualität geknüpft ist. "Diese Qualität unterscheidet die Zeitung von den Umsonst-Zeitungen der Vergangenheit. Sie etabliert das Geschäftsmodell neu und macht es zunehmend attraktiv für Werbekunden." Das Vorbild des "Evening Standard" scheint ihm Recht zu geben. Vor dem Relaunch 2009 als Gratisblatt lag die Auflage des einst kostenpflichtigen Blatts bei rund 250 000, heute hat die Zeitung mehr als 700 000.

Daria Hufnagel