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Im ostwestfälischen Vlotho wird die Tageszeitung zum Gratisblatt mit anspruchsvollem Internetauftritt

Wie weit darf ein Verlag den Wettbewerb ausfechten, bevor er eventuell das gesamte Unternehmen in Gefahr bringt? Die Frage hat der Verlag des "Mindener Tageblatts" für sich klar entschieden. Am Samstag, 30. Juni, erscheint die Traditionszeitung "Vlothoer Anzeiger" zum letzten Mal als tägliches Kaufblatt. "Wir stellen das Blatt aber nicht ein, sondern lediglich seine Erscheinungsweise um", sagt Chefredakteur Christoph Pepper im NEWSROOM-Gespräch im besten Medienmacher-Deutsch. Aus der Abo-Zeitung wird ein wöchentliches Gratisblatt - der Internetauftritt wird massiv verstärkt.

Vlotho - Rund 20.000 Einwohner zählt die Gemeinde in Nordrhein-Westfalen und bislang konnten die Leser vor Ort zwischen zwei Tageszeitungen auswählen. Jetzt verabschiedet sich der “Vlothoer Anzeiger”, der bereits seit 1906 die Medienlandschaft vor Ort bereichert, aus dem täglichen Print-Wettstreit. "Der „Vlothoer Anzeiger“ wird weiterhin ambitionierten Lokaljournalismus anbieten, künftig täglich mehrfach aktualisiert online und einmal wöchentlich gedruckt - dann aber kostenlos für alle Haushalte in der Stadt Vlotho und der benachbarten Gemeinde Kalletal", schildert Pepper seine Pläne.

Die Gründe für diese Entscheidung waren wirtschaftlicher Natur, "in der bisherigen Form gab es für das Blatt keine Zukunftsperspektive", bedauert Pepper. Geschlossen wird die Geschäftsstelle vor Ort.

Christoph Pepper, Chefredakteur "Mindener Tageblatt" und "Vlothoer Anzeiger".

Vier Redakteure, eine Volontärin und zwei Verlagsangestellte wechseln an den Verlagsstandort nach Minden, von wo aus sie weiterhin den "Vlothoer Anzeiger" gestalten. In Vlotho selbst sollen "Kopfstellen" für Redaktion und Verlag eingerichtet werden - andere Zeitungen, die Geschäftsstellen geschlossen haben, ließen dann zum Beispiel die Kleinanzeigenannahme von einer Lottostelle erledigen.

Pepper, langjähriger Chefredakteur des "Mindener Tageblatts" und des "Vlothoer Anzeigers", die beide im Verlag J.C.C. Bruns erscheinen, weiß, dass das neue Konzept auch von vielen anderen Zeitungsverlagen mit Argusaugen verfolgt wird: "Wir sehen den wöchentlich gedruckten „Vlothoer Anzeiger“ schon wegen seiner hochwertigen lokaljournalistischen Inhalte nicht als Anzeigenblatt, auch wenn wir ihn kostenlos vertreiben. Natürlich ist dies zunächst eine spezielle Lösung für einen sehr speziellen Markt. Für uns, das gebe ich gern zu, ist dieses dezidiert crossmediale Konzept allerdings auch ein spannendes Experiment." Und - der "Vlothoer Anzeiger" wird auf einem Schlag zum attraktiven Werbeträger.

Hintergrund

Als die Verleger Rainer Thomas und Sven Thomas den "Vlothoer Anzeiger" 2004 von Dirk Ippen übernahmen, stellten sie die Zeitung auf eine tägliche Erscheinungsweise um, bis dahin erschien sie lediglich zweimal in der Woche erschien, "für einen Abonnementspreis von zuletzt fünf Euro", so Pepper. Den Mitbewerber, die "Vlothoer Zeitung" aus dem Verlag des Bielefelder "Westfalen-Blatts", gab es damals für rund neun Euro. Dieser Richtwert "bildete naturgemäß die Ausgangsmarke, als wir uns ebenfalls als Tageszeitung im Wettbewerb positionierten - eine Entscheidung, die angesichts der Unwirtschaftlichkeit der vorherigen Erscheinungsweise Grundlage der Übernahme war. Wie sich herausstellte, war schon diese moderate Preiserhöhung am Markt nicht durchzusetzen. Und dauerhaft auch keine kostengerechte Preisentwicklung", so Pepper.

Zuletzt kostete der "Vlothoer Anzeiger" 11,30 Euro, die letzte verkaufte Auflage in Vlotho betrug im Mai 2012 1.534 Exemplare.

Der neu konzipierte "Vlothoer Anzeiger" wird in Zukunft jeden Samstag in einer Auflage von mehr als 15.000 Exemplaren erscheinen, in Vlotho und im bislang nicht abgedeckten benachbarten Gemeinde Kalletal, dabei wird der Verlag mit der "Lippischen Landeszeitung" kooperieren. Das Internetangebot soll multimedial daherkommen, Leser können Artikel kommentieren, es gibt Videos, Fotogalerien oder Audio-Slideshows. Die örtliche Berichterstattung im Internet wird täglich mehrfach aktualisiert, online wird das Blatt auch das Weltgeschehen abdecken.

Auch auf Twitter wird der "Vlothoer Anzeiger" in Zukunft aktiv sein. Dort lautet der Name @VA_Online - bitte folgen.

Bülend Ürük