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25 Jahre "Thüringer Allgemeine": "Umgestaltung war ein verbotenes Wort"

Die "Thüringer Allgemeine" war erste parteiunabhängige Zeitung der DDR. Jetzt feierte das Blatt, das zur Essener Funke Mediengruppe gehört, zum Jubiläum ein Symposium in Erfurt. Christoph Nitz war vor Ort.

Erfurt - Gegen den Ausschluss des Redakteurs gab es nur eine Gegenstimme: „Ich war das nicht“ – Angelika Reiser-Fischers Blick zurück ist nüchtern und ehrlich. Sie ist heute Redakteurin der Regionalausgabe Erfurt-Land und gibt beim Symposium „25 Jahre Thüringer Allgemeine“ zu, dass sie ohne Zwang in die SED eintrat, als Volontärin.

„Ich wollte Journalistin werden“, und sie lernte die Spielregeln und überhörte manches. Denn es gab „Ansagen, dass Worte nicht benutzt werden durften“.

Umgestaltung war in der Endzeit der DDR ein solches Wort auf der schwarzen Liste für Journalisten. Schwierig wurde die linientreue Arbeit spätestens in den späten 1980er Jahren, denn niemand sollte mit Namen oder Bild in einer Zeitung erscheinen, der einen Ausreiseantrag gestellt hatte.

Mit dem Ansteigen dieser Anträge waren Porträts von Kosmetikerinnen oder Fotos von Verkäuferinnen gefährlich – alle Personen, die für eine Veröffentlichung vorgesehen waren sollten von der Partei geprüft und genehmigt werden. Menschenmengen wurden deshalb einfach nicht mehr von vorne fotografiert. Angelika Reiser-Fischer vergaß auch einmal nachzufragen. Sie hatte Glück – „ich kam mit einer Verwarnung davon“. In ihrem Fall beurteilte man das Vergehen lediglich als „Panne, die auf einen schwachen Klassenstandpunkt schließen ließ.“

Die Redakteure der Thüringer SED-Bezirkszeitung „Das Volk“ hatten sich – wie andere Zeitungen auch, sich von der Partei und der sich daraus ergebenden Rolle für Journalisten in der DDR zu lösen. 

„Letzten Endes waren Zeitungen Teil des Parteiapparates“, so das Resümee von Hanno Müller, der heute in der Zentralredaktion der "Thüringer Allgemeine" als Reporter arbeitet. Er erinnerte an Journalisten, „die es zerrissen hat“. In den Redaktionen gab es viele Zyniker und einige brauchten Alkohol, um „die zwei Welten in der DDR“ zu bewältigen.

Ein Artikel konnte innerhalb der Redaktion als nachahmenswertes Beispiel „am Brett hängen“ und mit einer Geldprämie ausgezeichnet werden und draußen, so Müller weiter, „wurde man gefragt, was hast Du da für einen Scheiß geschrieben.“

„Komm, es wird spannend“, Birgit Kummer war im Erziehungsurlaub, als die Umwälzungen auch in Erfurt Wirkung zeigten. Und für sie „begann die aufregendste Zeit.“ Joschka Fischer kam in Turnschuhen ins Rathaus, Helmut Kohl auf den Domplatz und Thomas Gottschalk löste eine Wettschuld ein. „Wir haben uns nicht gewundert und gearbeitet wie die Verrückten“, freut sich Kummer im Rückblick.

Sie blieb bis heute nah den Menschen und deren Geschichten und sei heute die „gute „Seele der Lokalredaktion“, die fast jeden Erfurter kenne, so die Anmoderation des TA-Redakteurs Mirko Krüger. wie Zum Symposium brachte sie viele Originalausgaben aus der Zeit des Umbruchs mit und erinnerte sich - „wo man hinschaute, gab es Veränderungen“. Der Beruf des Journalisten ist faszinierend, „wenn es Freiheit des Wortes gibt.“

Doch in Erfurts IHK wurde nicht nur der bewegten Vergangenheit der ersten Stunde gedacht, sondern in einem ambitionierten Programm wurde der Journalismus nach der Revolution beleuchtet, über die „Entdeckung des Lesers“ nachgedacht und in die Zukunft der Zeitung zwischen Tradition und Wandel geblickt.

Chefredakteur Paul-Josef Raue verwies auf die Urteile des Bundesverfassungsgerichts und deren Ausdeutung der Pressefreiheit. „Presse soll umfassend informieren und darf auch nichts weglassen“ so eine Aussage Raues auf dem Podium. Medien sollten möglichst viele Meinungen anbieten und Diskussionen anstoßen. Soweit die Theorie, doch beim Thema „Pegida“, das im Verlauf des Tages breit diskutiert wurde, fehlte der Hinweis auf die 35.000 Dresdnerinnen und Dresdner, die am vergangenen Samstag für ein tolerantes und weltoffenes Dresden auf die Straße gegangen waren.

Auf Nachfrage zur Faktenlücke meinte Raue, „wir schreiben dauernd über die.“

Die "Thüringer Allgemeine" soll eine Bürgerzeitung werden – dieses Konzept hatte Raue schon in Braunschweig umgesetzt .

So kommt es auch, dass sich Raue der „Magen umdreht“, denn unter dem Label „Lesermeinungen“  finden „Pegida“-Anhänger einen Zugang zur Zeitung.

Ob dies nun die geeignete Umsetzung des Credos „Wir wollen Themen finden, die die Leser interessieren“ ist, mag dahin gestellt bleiben.

„Ein gutes Thema sind die Leute nicht leid“, stellte Paul-Josef Raue freudig fest und entsprechend konnte in der "Thüringer Allgemeinen" viel zum „Tatort“ aus Erfurt gelesen werden. Der vierzehnte Text zum Thema war – so die Leserforschung – der meist gelesene. 

Traditionen werden uns nicht retten – so ein Satz zur Zukunft der Zeitungen beim Symposium zum 25-jährigen Jubiläum, doch auch in Erfurt bleibt offen, welche Strategie in diesen Umbruchzeiten die richtige ist.

Vielleicht wird man auf die ersten Tage der Digitalisierung einmal zurückblicken wie auf die Wende im Jahr 1990 und bemerken, dass es Zeiten waren, „deren Tragweite man damals nicht absehen konnte.“

Hintergrund: "Thüringer Allgemeine"

Die "Thüringer Allgemeine" (Chefredakteur: Paul-Josef Raue) bildet gemeinsam mit "Ostthüringer Zeitung" (Chefredakteur: Jörg Riebartsch) und "Thüringische Landeszeitung" (Chefredakteur: Bernd Hilder) und der Anzeigenzeitung "Allgemeiner Anzeiger (Chefredakteur: Emanuel Beer) die "Zeitungsgruppe Thüringen" ZGT. Die drei Schwesterzeitungen haben eine gemeinsame verkaufte Auflage von 268.377 Exemplaren; die Anzeigenzeitung "Allgemeiner Anzeiger" erscheint mittwochs und sonntags in einer Auflage von weit über 800.000 Exemplaren. Geschäftsführerin der hundetprozentigen Tochtergesellschaft der Essener Funke Mediengruppe ist seit 2012 die gebürtige Kielerin Inga Scholz. Vorgängerzeitung der "Thüringer Allgemeine" war "Das Volk", das erstmals am 9. April 1946 erschien.

Christoph Nitz