Pressefreiheit
KNA – Florian Bayer

Orbáns Mediengesetz ist ein systematischer Angriff auf die Demokratie

Die ungarische Regierung plant ein Gesetz, das Nichtregierungsorganisationen und kritische Medien stark unter Druck setzt, weil eine Finanzierung aus dem Ausland verunmöglicht. Die Zivilgesellschaft protestiert.

Budapest (KNA) – Ungarn unter Viktor Orbán hat sich längst von den demokratischen Standards der Europäischen Union entfernt. Seit seinem Amtsantritt 2010 baut der Ministerpräsident systematisch rechtsstaatliche Institutionen ab, kontrolliert die meisten Medien und schränkt Grundrechte ein. Nun macht Orbán den nächsten drastischen Schritt Richtung Illiberalismus: Mit einem neuen Gesetzentwurf zielt seine Fidesz-Regierung darauf ab, die Zivilgesellschaft einzuschüchtern.

 

Das geplante „Gesetz zur Transparenz im öffentlichen Leben“ wurde bereits im Parlament eingebracht und dürfte in den kommenden Wochen beschlossen werden – mit Fidesz’ Zweidrittelmehrheit ist dies nur noch Formsache. Es würde der Regierung weitreichende Befugnisse verleihen, ausländisch finanzierte Organisationen und Medien zu überwachen, zu bestrafen und letztendlich zu schließen.

Damit könnte jede Organisation als „Bedrohung der nationalen Souveränität“ eingestuft werden, die angeblich „Ungarns unabhängigen, demokratischen und rechtsstaatlichen Charakter“ untergräbt. Diese bewusst vage Formulierung öffnet staatlicher Willkür Tür und Tor. Derart eingestufte Vereinigungen verlieren den Zugang zu internationalen Geldern. Auch müssen ungarische Spender nachweisen, dass ihre Mittel nicht aus dem Ausland stammen.

 

Hohe Geld- und Haftstrafen

Bei Verstößen drohen Geldbußen in 25-facher Höhe der betroffenen Spende sowie Gefängnisstrafen von bis zu drei Jahren. Erfolgt die Strafzahlung nicht binnen 15 Tagen, muss die Organisation ihre Tätigkeiten in Ungarn einstellen. Die Umsetzung obliegt dem 2023 eingeführten „Amt für Souveränitätsschutz“, das erweiterte Befugnisse erhalten wird: Es soll Organisationen identifizieren, die die öffentliche Debatte „nachteilig“ beeinflussen, Bankkonten überwachen und blockieren sowie Geldstrafen verhängen können. Unterstützung erhält das Amt von Polizei und Geheimdiensten.

 

Unverkennbar sind die Parallelen zum russischen „Agentengesetz“ von 2012, mit dem Präsident Putin unliebsame Organisationen als „ausländische Agenten“ brandmarkte und die Zivilgesellschaft weitgehend zerstörte. Der ungarische Richterverband sowie die Anwaltskammer kritisieren das Gesetz scharf – als Verstoß gegen rechtsstaatliche Grundprinzipien, da es Organisationen und Einzelpersonen überwacht, ohne ihnen angemessene Rechtsmittel zur Verfügung zu stellen.

 

Parallel dazu verschärft Orbán seinen Kulturkampf gegen sexuelle Minderheiten. Die jüngste Verfassungsänderung von Mitte April schreibt vor, dass es in Ungarn nur noch zwei Geschlechter gibt und der Staat den rechtlichen Schutz dieser „natürlichen Ordnung“ garantieren muss. Mit einem neuen Verfassungsartikel zum „Kinderschutz“ erhält die Regierung zudem die rechtliche Handhabe, Pride-Paraden und andere LGBTIQ-Veranstaltungen zu verbieten. Das Recht des Kindes auf „moralische, körperliche und geistige Entwicklung“ hat damit nun Vorrang vor dem Recht auf Versammlungsfreiheit. Menschenrechtsorganisationen warnen, dass diese Bestimmung willkürlich ausgelegt werden kann und im Grunde alle Proteste untersagt werden könnten.

 

Neue Hoffnung für die Opposition

Dazu kommt eine zunehmend aggressive und menschenverachtende Rhetorik Orbáns. In seiner Rede zum ungarischen Nationalfeiertag am 15. März kündigte Orbán einen „großen Osterputz“ gegen politische Gegner an und bezeichnete Regierungskritiker als „Stinkwanzen“. Viele Beobachter interpretieren Orbáns sprachliche Zuspitzungen als Zeichen der Nervosität angesichts schwindender Unterstützung. Diese erklärt sich vor allem durch den Aufstieg seines Herausforderers Péter Magyar. Der ehemalige Weggefährte Orbáns wurde binnen eines Jahres zur Galionsfigur der Opposition und liegt mit seiner Tisza-Partei in Umfragen mittlerweile deutlich vor Fidesz. Magyar ist wie Orbán ein Konservativer, bekräftigt aber – anders als dieser – sein klares Bekenntnis zur EU, zur unabhängigen Justiz und zu freien Medien.

 

Auch in der Zivilgesellschaft formiert sich zunehmend Widerstand. Mehr als zehntausend Menschen protestierten bereits gegen das geplante Gesetz. Zudem unterzeichneten 85 Chefredakteure europäischer Medien eine gemeinsame Petition, die das Gesetz als Angriff auf die Pressefreiheit verurteilt. „Dieser Gesetzentwurf stellt die ungarischen unabhängigen Medien vor eine tragische Wahl: entweder Verstaatlichung oder den Hungertod“, warnt etwa Reporter ohne Grenzen.

 

Orbán rechtfertigt seine Politik als Kampf gegen angebliche ausländische Einflussnahme. In einem seiner seltenen Interviews sagte er, es gebe „intensive ukrainische Geheimdienstaktivitäten, die in Ungarn durchgeführt werden“. Belege dafür lieferte er nicht. Seit Beginn des großflächigen Ukrainekriegs 2022 verfolgt Orbán eine deutlich prorussische Politik. Im Januar 2025 drohte Ungarn mit einem Veto gegen die Verlängerung der EU-Sanktionen gegen Russland, lenkte aber schließlich ein, nachdem die EU Zugeständnisse bei Energiefragen machte. Orbáns selbst ernannte „Friedensmission“ führte ihn 2024 zu Putin nach Moskau, was bei EU-Partnern für Empörung sorgte.

 

EU-Kommission kündigt Prüfung an

Das Europäische Parlament setzte unterdessen eine Dringlichkeitsdebatte angesichts der neuen Pläne an. Fraktionsübergreifend fordern Christdemokraten, Sozialdemokraten, Liberale und Grüne, Ungarn endgültig den Geldhahn zuzudrehen. „Wer sich null um die Achtung der EU-Werte kümmert, hat null Euro aus dem EU-Budget verdient“, sagte FDP-Europapolitiker Moritz Körner. Ruhig verhält sich vorerst die Europäische Kommission, die das neue Gesetz erst nach seiner Verabschiedung prüfen will. Wie nun bekannt wurde, soll das Gesetz auch im Europäischen Rat behandelt werden.

 

Bereits 2017 versuchte die ungarische Regierung, Nichtregierungsorganisationen mit EU-Fördergeldern als „ausländische Agenten“ zu brandmarken. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) erklärte dies 2020 für unvereinbar mit EU-Standards, woraufhin das Gesetz zurückgezogen werden musste. Beobachter rechnen damit, dass auch das neue Gesetz vom EuGH gekippt werden dürfte – allerdings erst nach Jahren. Bis zur nächsten Parlamentswahl im Frühling 2026 könnten kritische Stimmen so zum Schweigen gebracht werden.

 

Ungarn steht also zweifellos am Scheideweg: Entweder gelingt Magyar und der Opposition tatsächlich der prognostizierte Machtwechsel – oder das Land könnte endgültig in den Autoritarismus abrutschen. Die kommenden Monate werden zeigen, ob die ungarische Zivilgesellschaft stark genug ist, um Orbáns systematischen Angriff auf die Demokratie zu überstehen.