Pressefreiheit
KNA – Michael Lenz

Hongkong überzieht Medien mit willkürlichen Steuerprüfungen – Das Finanzamt als Waffe

Seitdem in Hongkong vor wenigen Jahren ein neues Sicherheitsgesetz in Kraft getreten ist, ging es mit der Pressefreiheit steil bergab. Mit allen Tricks geht die pekingtreue Regierung gegen die letzten freien Medien vor.

Hongkong (KNA) – Zum vierten Jahrestag des erzwungenen Endes der unabhängigen, China-kritischen Zeitung Apple Daily haben die Journalistenorganisation Reporter ohne Grenzen gemeinsam mit ehemaligen Apple-Daily-Mitarbeitern in dieser Woche eine Online-Sonderausgabe der Hongkonger Zeitung veröffentlicht. Sie informiert darin über die Lage der Pressefreiheit in Hongkong.


Außerdem bittet Sebastien Lai, Sohn des weiterhin inhaftierten Apple-Daily-Gründers und Herausgebers Jimmy Lai, die Leser, für die Freilassung seines Vaters zu kämpfen, „bevor es zu spät ist“. Der 77-Jährige sitzt trotz Krankheit weiterhin in einem Hochsicherheitsgefängnis ein, sein Prozess läuft seit November 2023. „Mein Vater setzt sich für die Freiheiten ein, die wir alle schätzen. Es ist an der Zeit, dass wir uns ihm anschließen“, schreibt Sebastian Lai in einem in der Sonderausgabe veröffentlichten Brief.


„Die Pressefreiheit in Hongkong ist im freien Fall. Doch die Sonderausgabe der Apple Daily zeigt: Hongkonger Journalistinnen und Journalisten werden nicht verstummen“, sagt Anja Osterhaus, Geschäftsführerin von Reporter ohne Grenzen in Deutschland. „Sie berichten mutig vor Ort und im Exil weiter.“ Die internationale Gemeinschaft müsse diese Medienschaffenden finanziell unterstützen und ihnen im Bedarfsfall auch ein sicheres Exil ermöglichen.


Pressefreiheit in freiem Fall
Die Sonderverwaltungszone Hongkong der Volksrepublik China, einst eine Bastion der Pressefreiheit in der Region, hat seit 2020 eine beispiellose Reihe von Rückschlägen erlitten. Das im Juni 2020 in Kraft getretene chinesische Sicherheitsgesetz zielt darauf ab, unabhängige und kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen. Lag Hongkong 2021 noch auf Platz 80 im Pressefreiheitsindex der Reporter ohne Grenzen (RSF), ist es jetzt auf Platz 140 der 180 bewerteten Länder abgestürzt.


Am 24. Juni 2021 machten die Hongkonger zum letzten Mal öffentlich und in Massen klar, was sie von ihrer Regierung und dem von China ein Jahr zuvor aufgezwungenen drakonischen Gesetz zur nationalen Sicherheit halten: nichts. Schon vor Sonnenaufgang bildeten sich am Mittwoch vor vier Jahren in Hongkong lange Schlangen vor den Kiosken, um ein Exemplar der letzten Ausgabe der Apple Daily zu ergattern. Statt der üblichen Auflage von rund 80 000 druckte der Verlag für die historische letzte Ausgabe eine Million Zeitungen. 26 Jahre lang war Apple Daily das Sprachrohr der Demokratiebewegung und 2019 ein wesentlicher medialer Unterstützer der Massenproteste für allgemeine freie Wahlen und gegen China.


Im Juni 2021 durchsuchten Hunderte Polizisten die Redaktion der Apple Daily und beschlagnahmten Computer und Handys. Hochrangige Mitarbeiter wurden wegen angeblicher Verstöße gegen das Sicherheitsgesetz festgenommen, und die Behörden froren die Bankkonten der Zeitung ein. Heute sitzen immer noch sieben Medienschaffende der Apple Daily, darunter Jimmy Lai, im Gefängnis. Ihnen droht nach dem Sicherheitsgesetz lebenslange Haft.


Neben den Apple-Daily-Mitarbeitern haben die Behörden laut Reporter ohne Grenzen mindestens 28 Medienschaffende verfolgt. Zehn von ihnen sind in Haft. Auch andere kritische Medien wie Stand News wurden geschlossen, während einige kleinere Medien aus Angst die Arbeit von sich aus einstellten.


Auffälligkeiten bei der Steuerbehörde
Aktuell instrumentalisiert Hongkong das Steuerrecht, um die letzten verbliebenen unabhängigen Onlinemedien wie das Nachrichtenportal Hong Kong Free Press (HKFP) wegen des Vorwurfs der Steuerhinterziehung unter Druck zu setzen. HKFP-Chefredakteur Tom Grundy wies Ende Mai den Vorwurf der Steuerhinterziehung strikt zurück: „HKFP ist seit unserer Gründung im Jahr 2015 stets seinen Steuerverpflichtungen nachgekommen, hat Finanzamt-Forderungen umgehend bezahlt und eine sorgfältige Buchführung gewährleistet.“


Den Vorwurf „willkürlicher Steuerprüfungen“ gegen insgesamt sechs Medien, den die Hong Kong Journalists Association(HKJA) erhob, wischte Hongkongs Regierungschef John Lee zur Seite. Journalisten „haben kein Recht, Steuern zu hinterziehen“, sagte Lee Ende Mai gegenüber Medien. Die Regierung hingegen habe das Recht, Steuerermittlungen gegen jede Person oder Berufsgruppe einzuleiten.


Lees Einlassung könnte man gelten lassen, gäbe es bei dem Vorgehen der Steuerbehörde nicht ein paar Auffälligkeiten. So wies die HKFP darauf hin, dass laut Daten der Steuerbehörden 2024 bei 5540 oder etwa 0,37 Prozent der insgesamt 1,46 Millionen angemeldeten Unternehmen Steuerprüfungen durchgeführt worden waren. Was die HKFP damit sagen wollte: Es könne kein Zufall sein, dass gleich sechs unabhängige Onlinemedien bei der angeblich zufälligen Auswahl zu prüfender Unternehmen das Los der Steuerprüfung getroffen haben. Der Verdacht der Willkür wird bestärkt durch die zeitgleichen Steuerprüfungen bei Redakteuren und deren Familienangehörigen. Laut Selina Cheng, Vorsitzende der HKJA, sind 20 Personen von den Prüfungen und Steuernachforderungen betroffen – darunter sie selbst. Und auch die HKJA stehe auf der Beobachtungsliste des Finanzamts, sagt Cheng.


Taube Ohren in Peking
Eines der im nationalen Sicherheitsgesetz aufgeführten Verstöße ist die Zusammenarbeit mit „ausländischen Mächten“. Darauf bezieht sich der von Abgeordneten des Hongkonger Parlaments geäußerte Vorwurf, Medien und andere Organisationen hätten finanzielle Zuwendungen durch die inzwischen von US-Präsident Donald Trump eingestellte Entwicklungshilfebehörde USAID erhalten. Hongkongs Sicherheitschef Chris Tang verweigerte jedoch die Antwort auf die Frage von Abgeordneten, ob USAID überhaupt Organisationen in Hongkong finanziert habe.


Eine Recherche der HKFP in öffentlich zugänglichen Aufzeichnungen der US-Regierung ergab keine Hinweise auf Organisationen mit Sitz oder Betrieb in Hongkong, die in den letzten fünf Jahren von USAID finanziert wurden. Die Behauptung, es würden finanzielle Zuwendungen von USAID vor allem an die HKFP fließen, und Hetze gegen HKFP-Chef Tom Grundy gehören jedoch inzwischen zum Standardrepertoire der „Red Pill Medien“ in Hongkong – wie der Volksmund dort verächtlich pekingtreue Medien nennt.


Unterdessen geht der Prozess gegen Jimmy Lai weiter. Aufrufe von internationalen Medien- und Menschenrechtsorganisationen sowie des EU-Parlaments zur sofortigen Freilassung von Lai stoßen in Hongkong und Peking weiterhin auf taube Ohren.