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Deutschlandfunk: Rauswurf von Jens Weinreich ist ein „journalistischer Gau“

Eigentlich will Grit Hartmann NEWSROOM kein Interview geben. Die erfahrene Journalistin weiß, dass Kritik in den eigenen Reihen nicht gerne gesehen wird. Im Fall Deutschlandfunk vs. Weinreich hält Hartmann aber die Erklärung des Senders für "erschreckend" genug, das doch zu tun. Sie sagt: „Für mich hat die Redaktion sportpolitisch jede Glaubwürdigkeit verloren.“

Leipzig – Grit Hartmann arbeitet seit 1994 als freie Journalistin, sie war als erfahrene Rechercheurin unter anderem an der Aufklärung der Skandale um die Leipziger Olympiabewerbung beteiligt und hat einige Bücher veröffentlicht. Hartmann, die mit Jens Weinreich befreundet ist, hat viele Jahre selbst für den Deutschlandfunk frei gearbeitet. Anfang des Jahres hat sie sich aus der Sportredaktion des nationalen Hörfunks verabschiedet. Grit Hartmann kritisiert: „Mit der personellen Neubesetzung hat es einen merklichen innerredaktionellen Qualitätseinbruch gegeben“.

NEWSROOM: Frau Hartmann, Sie sind seit 1994 als freie Journalistin tätig. In welcher Verfassung befindet sich der Sportjournalismus in Deutschland?

 

Grit Hartmann.

 

Grit Hartmann: Im Sport werden zu viele grundverschiedene Tätigkeiten als Journalismus bezeichnet. Manche, vor allem im Fernsehen, sind das Gegenteil von Journalismus. Neue Medien und einige, leider zu wenige, hartnäckige Kollegen, auch das sportnetzwerk, eine lockere Vereinigung von kritischen Sportjournalisten, übrigens mit dem Ideengeber Jens Weinreich, haben in den letzten Jahren dazu beigetragen, dass junge Leute anders auf ihr Arbeitsfeld blicken. Einige Skandale – die Freiburger Sportmedizin oder Jan Ullrich – haben das Bewusstsein für die Abgründe der „schönsten Nebensache der Welt“ etwas  erweitert. Anderes wie die Urteile gegen korrupte ARD-Sportchefs waren Warnschilder für fehlende Distanz in der Branche, gern beschrieben mit dem Wort von den journalistischen Fans, die es über die Absperrung geschafft haben.

NEWSROOM: Hat sich denn überhaupt nichts geändert?

Grit Hartmann: Insgesamt hat sich zu wenig geändert. Einzelkämpfer in allen Medien prägen das Bild, wenn wir über gute Ansätze reden. Im Fernsehen werden die aber zum Beispiel in Extra-Redaktionen ausgelagert, weil sie bei den Sportkollegen nicht unbedingt beliebt sind. Das sind Verdrängungsmechanismen im Wortsinn, denn Sport soll ja unterhalten, man zahlt viele Millionen dafür.

NEWSROOM: Sie waren viele Jahre für die Sportredaktion vom Deutschlandfunk tätig. Wie verlief die Zusammenarbeit?

Grit Hartmann: Deutschlandfunk-Sport war einmal eine besondere, auch investigativ starke Redaktion, die lange Jahre Maßstäbe gesetzt hat im Blick auf die Verwerfungen der Parallelgesellschaft Sport. Das heißt, sie hat auch Themen gesetzt, die dann in anderen Medien aufgegriffen wurden, auch im politischen Raum. Dort waren Redakteure mit sportpolitischem und journalistischem Verstand am Werk. Ihre Arbeit ist innerhalb des Sports, der Sportpolitik nicht unbedingt erfreut wahrgenommen worden, aber mit Respekt. Für freie Journalisten war der Deutschlandfunk mehr als eine Abspielstation, man hat Wert auf Austausch, auch von Ideen, gelegt. Das war produktiv, anregend, mir hat das lange großen Spaß gemacht. Ich war sogar stolz, für diese Sportredaktion arbeiten zu dürfen.

NEWSROOM: Konnten Sie auch kritische Themen für den Sender bearbeiten?

Grit Hartmann: Ich habe nichts anderes getan, als zu Sportpolitik, Doping zu recherchieren. Da gab es gelegentlich Anregungen der Redaktion, das, was man als „Aufträge“ bezeichnen würde  – aber in der Regel habe ich selbst Themen vorgeschlagen. Das stieß immer auf Zustimmung. Der Konsens  im Berufsverständnis, im Zugang, war gegeben. Der lautete nicht, den schönen Schein zu repetieren, sondern zu sagen, was ist und zu versuchen herauszufinden, warum etwas geschieht.

NEWSROOM: Anfang des Jahres haben Sie sich aus der Deutschlandfunk-Sportredaktion verabschiedet. Warum arbeiten Sie nicht mehr für den Sender?

Grit Hartmann: Vorab: Obgleich ich davon ausgehe, dass es ein größeres Problem bei diesem Sender gibt, schätze ich den Deutschlandfunk in vielen Programmteilen, höre ihn auch. Wir reden also über die Sportredaktion. Mit der personellen Neubesetzung hat es einen doch merklichen innerredaktionellen Qualitätseinbruch gegeben, und da spreche ich nicht über Freie, da schätze ich einige sehr. Aber es hat zum Beispiel so genannter Interviewjournalismus Raum gewonnen, mit wenig Distanz, mit wenig Kompetenz auch, in einer Form, die ich als PR bezeichne, weil Bühne geboten wird für Selbstdarstellungen von Sportfunktionären, populären Bundesligamanagern oder Trainern. Ein Berufsverständnis, das nicht an Inhalten, sondern an Namen orientiert ist.

NEWSROOM: Und das hat ausgereicht, dass Sie dort nicht mehr journalistisch tätig sein wollten?

Grit Hartmann: Natürlich kann man mit einem solchen Wandel zum austauschbaren Mainstream als Freie auch leben und sagen: Okay, ich verdiene dort mein Geld. Mir ist das schwerer gefallen. Hinzu kamen Vorfälle, die ich als Eingriffe in meine Arbeit verstanden habe. Ich habe dann mehrfach um Abstimmung gebeten bei Themen, die ich für diese Redaktion exklusiv erschlossen, recherchiert hatte. Dann gab es ein Sorry - bis zum nächsten Mal. Am Ende musste ich mich fragen, ob ich meine Recherchen durch Redakteure, denen journalistische Standards fehlen, konterkarieren lasse oder sie durch Abgang schütze. Das war alles andere als leicht, auch ein längerer Prozess. Aber für mich war es richtig.

NEWSROOM: Jens Weinreich hat den Deutschlandfunk öffentlich kritisiert. Was sagen Sie zu seinen deutlichen Worten, zu seiner Kritik?

Grit Hartmann: Ich bin mit Jens Weinreich befreundet – aber ich nehme für mich in Anspruch, dass ich den Vorgang, der zu seinem Rauswurf geführt hat, genauso bewerten würde, wäre ich das nicht. Anlass war ja eine journalistische Grundsatzfrage, die Weinreich auf seinem Blog diskutiert hat, nämlich die, ob Terminberichterstattung von Sitzungen des Bundestags-Sportausschusses angemessen ist – nachdem die Koalitionsmehrheit Journalisten wegen unbotmäßiger Berichterstattung ausgeschlossen hat.

Der Deutschlandfunk-Sport hält es für richtig, noch nach den - an den Aufgaben dieses Gremiums gemessenen - unbedeutendsten geschlossenen Sitzungen regelmäßig das Mikro hinzuhalten für auch im politischen Berlin umstrittene Abgeordnete, die dann ihre eigene Arbeit interpretieren dürfen. Überprüfbar ist das nicht. Ob das Journalismus ist – darüber darf man nicht nur diskutieren, man muss es. Es tut Journalisten gut, sich gelegentlich darüber zu verständigen, was man so tut und zu fragen, ob das immer richtig ist. Weinreich hat das getan, ohne den Deutschlandfunk explizit zu erwähnen, bekam daraufhin ein Ultimatum von der Sportchefin Astrid Rawohl: Entweder Du schweigst, oder Du arbeitest nicht mehr für den Deutschlandfunk. Mir fällt nicht viel ein, wie man klarer zeigen kann, dass man den Beruf nicht verstanden hat und was es heißt, öffentlich zu arbeiten.

Dazu: Es gab einen Hinweis aus dem Sportausschuss auf diesen Blogeintrag. Weinreich ist ja nicht nur ein profunder Kenner von IOC oder FIFA, sondern er war auch einer der für den Sportausschuss unbequemsten Beobachter, er hat den Grimme-Preis bekommen, weil er vorgeführt hat, dass dort viel eher Lobbyismus betrieben wird als parlamentarische Kontrolle des aus öffentlichen Mitteln finanzierten Spitzensports, hat Dokumente veröffentlicht. Einer, den man gern loswerden wollte. 

NEWSROOM: Glauben Sie, dass die Politik Druck ausgeübt hat auf die Verantwortlichen im Sender?

Grit Hartmann: Wie weit der Deutschlandfunk vor Politikern eingeknickt ist, weiß nur der Deutschlandfunk selbst. Hörbar ist: Die Sportpolitiker haben dort nichts mehr zu befürchten. Sie bekommen ungefiltert Fläche für ihre Statements. Bestenfalls ist das Retro-Journalismus. In meinen Augen ist es ein glatter Bruch: Der Sender agiert zunehmend als Teil der deutschen Sportfamilie, deren Kungeleien er früher einmal mit eigenen Recherchen offengelegt hat.

NEWSROOM: Der Deutschlandfunk zeigt sich nicht zimperlich, droht in einer offiziellen Erklärung mit rechtlichen Mitteln. Soll da ein kritischer Kollege mundtot gemacht werden?

Grit Hartmann: Das ist er ja schon, innerhalb des Deutschlandradios, nicht nur der Deutschlandfunk-Sportredaktion. Das Statement der Chefredakteurin hat mich überrascht, eine derart erschreckende Niveaulosigkeit hätte ich dort nicht vermutet. Ein Sender wie der Deutschlandfunk versucht, einen der renommiertesten Journalisten dieses Landes zu diffamieren, indem er ihm vorwirft, er habe Kollegen „verunglimpft“ - verunglimpft also selbst. Dieser Vorwurf, den der Deutschlandfunk nicht belegen können wird, und die juristische Drohung zeigen viel eher die Not des Deutschlandfunks, der Trugbilder über den Kern der Sache legen muss. Denn dieser Rauswurf ist natürlich ein journalistischer Gau. Für mich hat die Redaktion sportpolitisch jede Glaubwürdigkeit verloren, da mag sie sich noch so häufig – und das ist die neue Strategie – der Expertise anderer Redaktionen mit so genannten „Kollegengesprächen“ bedienen.

NEWSROOM: Reicht der Disput mit Jens Weinreich wirklich aus, um den Ruf des Deutschlandfunks nachhaltig zu zerstören?

Grit Hartmann: Das ist für mich nicht die zentrale Frage. Eher: Wie viel Unabhängigkeit leistet sich ein solcher Sender, welchen Qualitätsanspruch hat er, hinterfragt er beides gelegentlich, wie kritikfähig ist dieser Apparat? Es ist nicht der erste, es ist der zweite Deutschlandradio-Deutschlandfunk-Eklat innerhalb kurzer Zeit - nach dem Eklat um den Kommentar zum Wehrbeauftragten, wo man Druck aus der Politik nachgegeben hat. Auch die Unterschiede dieser beiden Vorgänge sind ja ganz aufschlussreich: Im Deutschlandradio-Deutschlandfunk gilt ein Journalist nicht als anstößig, der für die Bundeswehr als honorierter Berater arbeitet und zugleich zum Thema kommentiert. Ein unabhängiger, hoch kompetenter Kollege wie Jens Weinreich aber schon. Also: Deutschlandradio hat offensichtlich ein Problem mit journalistischen Grundregeln, wenn Sie so wollen: mit den Minimalstandards.

NEWSROOM: Und warum will der Deutschlandfunk kritischen Journalismus nicht mehr?

Grit Hartmann: Das gilt bestimmt nicht für alle Ressorts und noch weniger für alle Kollegen. Aber Chefredaktion und Sportredaktion haben die Frage selbst beantwortet mit dem erhellenden Begriff „Redaktionsfrieden“ im Statement zu Weinreich. So formulieren überforderte Bürokraten, die Wert legen auf gute Beziehungen zu denen, die eigentlich Objekte kritischer Berichterstattung sein sollten. Ein unbequemer Journalist wie Weinreich stört diesen Frieden. Nach außen und auch nach innen.

Mit Grit Hartmann, freier Journalistin und Buchautorin in Leipzig, sprach NEWSROOM-Chefredakteur Bülend Ürük.

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Hinweis: In einer ersten Version stand, dass es der zweite Deutschlandfunk-Eklat innerhalb kurzer Zeit sei. Dies wurde korrigiert, der Kommentar zum Wehrbeauftragten erschien im Deutschlandradio. B.Ü.