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Über niederträchtige Verleger, sinnsuchende Medienkonsumenten und den Stellenwert des Journalismus

„Es sind die Geschäftsführer in den Verlagen, die in der Krise zukunftsfähige Konzepte vermissen lassen", hat heute DJV-Vorsitzender Michael Konken beim Verbandstag in Kassel erklärt.

Kassel – Im Mittelpunkt des diesjährigen Journalistenkonvents stehen Anträge und Resolutionen zu zahlreichen Themen aus Journalismus und Medienpolitik. Die Qualität des Journalismus ist das Hauptthema des Kasseler Verbandstags. In seiner Eröffnungsrede hat Michael Konken die Lage der Journalistinnen und Journalisten, des Journalismus in Deutschland genau beschrieben. Wir dokumentieren seine Rede leicht gekürzt.

Die schwedische Post hat in den vergangenen Jahren harte Sparmaßnahmen beschlossen, die zu Lasten der Kunden gingen. Briefe wurden immer häufiger vertauscht, zu spät oder überhaupt nicht zugestellt. In den vergangenen fünf, sechs Jahren mussten jährlich an die tausend Briefträger gehen. Briefsortierer wurden durch Maschinen ersetzt, denen das Lesen offenbar schwer fällt. Weil die Zahl der Haushalte zunimmt, müssen die Briefträger mehr Adressen ansteuern, allerdings mit schlechter sortierten Briefen. Kein Wunder, dass die Post zu immer späteren Tageszeiten zugestellt wird und Sendungen bisweilen im falschen Briefkasten landen. Die linksliberale Boulevardzeitung Aftonbladet forderte im August dieses Jahres ein Eingreifen der Politik: „Bald hat das System einen Tiefpunkt erreicht. Dann haben die Rationalisierungen dazu geführt, dass wir nicht mehr damit rechnen dürfen, jeden Tag unsere Post zu bekommen“, schreibt die Zeitung. Und weiter: „Service oder Geld - nur die Politiker können entscheiden, was das Wichtigste ist. Bisher war das Geld wichtiger. Doch jetzt fangen die Kunden an, sich lauthals zu beschweren. ... "

Qualität ist für alle wichtig, nicht nur für Postkunden, sondern auch für die Medienkonsumenten, die ansonsten den Preis für die Produkte unserer Branche nicht mehr akzeptieren. Die Qualität der Postzustellung in Schweden ist eine Dienstleistung, auf die Menschen angewiesen sind. Um wie viel mehr muss die Qualität unserer Produkte stimmen, damit auch sie weiterhin gelesen, gehört und gesehen werden? Ein Kollege, mit dem ich über die Inhalte unseres Verbandstages diskutierte, malte mir ein düsteres Bild, eine Medienapokalypse: 2030, prognostizierte er, wird es kaum noch Zeitungen geben. Vielleicht, so seine Vision, wird es nur noch Sonntagszeitungen geben, die durch Beilagen finanziert werden, vor allem aber Pressemitteilungen veröffentlichen. Und - der Onlinebereich wird dann mehr und mehr durch unseriöse Angebote dominiert, da die meisten Verlage ihre Portale über den Printbereich nicht mehr finanzieren können. Da die Inhalte der Apps kaum durch Werbung finanziert werden können, würden die Verlage auch damit kein Geld verdienen.

Also müssten primär Hörfunk und Fernsehen den Informationsauftrag erfüllen. Allerdings, schränkte er gleich ein, die Zuschauerresonanz der ARD-Tagesschau (Altersdurchschnitt 61 Jahre) und der Nachrichten im ZDF (62 Jahre) dürfte dann erheblich gesunken sein. Man sollte überlegen, Nachrichtensendungen mehr zu Entertainmentveranstaltungen zu formen. Um Einschaltquoten zu erzielen, schlug er vor, die Tagesschau von Florian Silbereisen und die Heute-Nachrichten von Carmen Nebel moderieren zu lassen. Ich hoffe, dass dieser Zeitgenosse nicht Recht behält. Obwohl, aktuelle Zahlen machen mich nachdenklich. Media Control vermeldete vor einigen Tagen, dass die Nachrichten-Flaggschiffe des Fernsehens in den ersten neun Monaten deutlich an Zuschauern und Marktanteilen verloren hätten. Die Tagesschau hatte durchschnittlich 4,92 Millionen Zuschauer, 2011 waren es noch 5,37 Millionen. Aber auch RTL Aktuell, ZDF-heute und Sat.1-Nachrichten verloren deutlich.

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Ich glaube immer noch daran, dass Journalismus und seriöse Information auch künftig ihren Stellenwert haben. Stellen wir uns vor, das journalistische Horrorszenario des Kollegen tritt ein. Wo könnte dann die Politik noch die Menschen erreichen? Über ihre eigenen Parteienhomepages? Ein Propaganda-GAU wäre die Folge. Wer würde dann die Politik kontrollieren? Wer würde auf Missstände aufmerksam machen, Denkprozesse auslösen und Lösungen fordern? Paul-Josef Raue, der Chefredakteur der Thüringer Allgemeinen, ließ neulich verlautbaren, dass aus der Schwäche des Journalismus die Schwäche der Demokratie folge. Raue weiter: „Wenn wir über den Wert des Journalismus sprechen, dann sprechen wir über den Wert unserer Gesellschaft.“ Richtig, Herr Raue. Aber Sie und andere tun in der Praxis zu wenig, um die Schwäche abzubauen.

Die Verantwortlichen in den Medien verschließen die Augen angesichts der Situation.

Nebenschauplätze werden in den Fokus gerückt. Sie sollten lieber tragfähige Modelle für die Zukunft erarbeiten, statt kleinkarierte Streitereien über die Inhalte von Apps zu führen. Seit gut zwölf Jahren befinden wir uns in der Medienkrise – ein Ende ist nicht in Sicht. Und fast zwölf Jahre diskutieren wir Lösungen, um Journalismus und Qualität auch künftig zu sichern. Wir konnten in dieser Zeit für unsere Kolleginnen und Kollegen immer wieder Tarifabschlüsse vereinbaren, ihnen in einzelnen Fällen konkret helfen. Wir sind unserer sozialen Verantwortung gerecht geworden. Der Kampf für möglichst gute Arbeitsbedingungen für Feste und Freie ist unsere zentrale Aufgabe. Dafür werden und müssen wir alle unentwegt weiter kämpfen. Und das noch mehr als bisher und mit noch mehr Einsatz. Die künftigen Tarifverhandlungen werden schwieriger und werden uns noch mehr als bisher abverlangen. Wir werden selbstbewusst und pragmatisch in die bevorstehende Tarifrunde gehen.

Wir müssen und wir werden Wege und Lösungen finden. Dafür sei an dieser Stelle allen gedankt, die sich unermüdlich dafür einbringen.

Zeitungssterben, Zusammenlegung von Redaktionen, die Umbenennung von Redakteuren in ,Content-Manager’, auch massenweise Entlassungen von Journalisten wurden längst zu einer aktuellen Wirklichkeit. Und auch, dass immer mehr so genannte freie Journalisten ihre gute Arbeit für einen äußerst beschämenden Lohn leisten müssen. Das gehört leider auch zum journalistischen Alltag. All das bedroht nicht nur eine Berufssparte unter anderen – es bedroht unsere demokratische Öffentlichkeit.

Zeitunglesen ist eben nicht nur ein Hobby, das man auch lassen kann. Sich umfassend informieren zu können: das ist das Fundament demokratischer Teilhabe. Wir brauchen also Qualitätsjournalismus. Wir möchten nicht von billigen, aber nicht ausgebildeten Leihkräften informiert werden, übrigens ebenso wenig von gut ausgebildeten, aber schlecht bezahlten, durch Einsparungen und Rationalisierung überforderten Redakteuren und Journalisten.“ Diese Sätze, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind keine inhaltstiefen eigenen Ausführungen. Es sind Sätze unseres Bundespräsidenten Joachim Gauck in seiner Rede zur Verleihung des 50. Theodor-Wolff-Preises am 12. September dieses Jahres in Berlin. Sätze, die nach Handeln verlangen. Wir Journalisten erfüllen unseren Part, jeden Tag, zu jeder Stunde, unermüdlich, so gut es eben geht. Wir müssen uns aber auch kontinuierlich den Spiegel vorhalten.

Eine Untersuchung zur Politikverdrossenheit von Schülern im Alter 16 bis 19 der Friedrich-Ebert-Stiftung vom Juni 2011 kommt zum Ergebnis, dass es den Medien nicht ausreichend gelingt, die abgehobene Sprache der Politik so zu vermitteln, dass sie verstanden werden kann. Jugendliche sagten, dass sie Informationen über Politik häufig nicht aktiv oder gar regelmäßig suchen, sondern eher dem Zufall überlassen. Und sie stellten fest, dass die Medien nicht unterstützend für die eigene Meinungsbildung empfunden werden. Vor diesem Hintergrund ist es folgerichtig, dass eigenes politisches Engagement größtenteils als nicht wirkungsvoll angesehen wird, wenn bereits die Möglichkeit der Teilhabe über Information nicht ausreichend wahrgenommen wird. Dieses Ergebnis macht unsere wichtige Aufgabe, auch im Sinne der Worte des Bundespräsidenten, eindrucksvoll deutlich. Ein Manko, an dem wir intensiver arbeiten müssen, in den Medien entsprechende zielgruppennahe Formate entwickeln müssen. Qualität, relevante Themen und die Vermittlung von Informationen müssen von unserer Seite stimmen. Ich möchte heute vier Aspekte beleuchten, vier Verantwortungsebenen, die die Zukunft des Journalismus, des Qualitätsjournalismus in Deutschland sichern müssen.

1. Journalistenverbände und Journalisten, die weiter mit Kompetenz und Hingabe für unsere Auffassung von Qualitätsjournalismus kämpfen

Journalistinnen und Journalisten brauchen mehr denn je eine gute und umfassende Aus- und Weiterbildung. Eine Aus- und Weiterbildung, die es ihnen ermöglicht, in rasch wandelnden Berufsfeldern langfristig professionell erfolgreich zu arbeiten. Eine systematische Aus- und Weiterbildung steigert zudem den Wert und die Attraktivität des journalistischen Berufs, der auch künftig seine Anziehungskraft auf qualifizierten Nachwuchs behalten muss. Mehr als besorgt bin ich über negative Tendenzen in der Ausbildung. Die Verlage machen beim Sparen auch vor der Ausbildung nicht Halt. Sollen journalistische Produkte auch künftig Qualität haben, dann darf es nicht zu weiteren Einschnitten in diesem Bereich kommen. Aus- und Weiterbildung müssen Tabuthemen bei Streichungen sein. Ihr Stellenwert muss erhalten werden.

Der Bundesvorstand hat zu diesem Thema ein Memorandum vorgelegt, das wir in den nächsten Tagen intensiv diskutieren wollen. Wir dürfen es nicht zulassen, dass journalistische Aus- und Weiterbildung ihren Stellenwert einbüßt. Schon melden einige Universitäten, dass zwei Drittel der Absolventen nur noch im PR-Bereich Stellen finden. Und das sind nicht die schlechtesten Absolventen. Jungen Journalistinnen und Journalisten eine Zukunft im Journalismus zu geben, ist eine unserer wichtigsten Aufgaben. Auch wenn sich die Verlage immer mehr diesem Thema versagen, müssen wir unnachgiebig unsere Forderungen formulieren. Die Verlage haben anscheinend noch nicht verstanden, dass sie sich durch ihre unverantwortliche Einstellung zur Aus- und Weiterbildung den Ast absägen, auf dem sie bisher wirtschaftlich immer noch gut sitzen. Wir müssen dafür streiten, dass Medienunternehmen und die Institutionen der journalistischen Aus- und Weiterbildung, Hochschulen und Journalistenschulen sowie freie Bildungsträger gefördert und gesichert werden.

2. Medienunternehmer – mehr Verantwortung statt Gewinnmaximierung

Für unsere Auffassung von Qualität stehen auch die Verbände der Medienunternehmer. Sagen sie. Doch die Realität sieht anders aus. Es sind die Geschäftsführer in den Verlagen, die in der Krise zukunftsfähige Konzepte vermissen ließen. Stattdessen bauten sie Redakteursstellen ab, dünnten die Honoraretats der Freien aus. Qualität und lokale Nähe sind immer noch Erfolgsgaranten. Die WAZ ist hierfür ein eindringliches Beispiel.

Wie oft haben wir in den vergangenen Jahren die Unternehmenspolitik kritisiert, die Lokalausgaben zu schwächen oder ganz aufzugeben. Böse Kommentare von Seiten der WAZ-Verantwortlichen waren die Folge. Und – wir behielten leider Recht. Darauf bin ich nicht stolz, denn über 300 Kolleginnen und Kollegen verloren ihren Arbeitsplatz, konnten teilweise im Journalismus nicht mehr Fuß fassen. Oder das Beispiel der Zeitschriftenverleger. In diesem Jahr erwarten sie einen Umsatz von 7,1 Milliarden Euro. Ein Plus von 1,4 Prozent. Im nächsten Jahr erwarten sie erneut 1,5 Prozent und das trotz rückläufiger Anzeigenumsätze. Es ist lobenswert, dass dafür im nächsten Jahr 400 Arbeitsplätze dazukommen. Hoffentlich tarifgebundene. Es ist niederträchtig, dass trotz dieser guten Ertragslage es immer noch zu keinem Abschluss für der Gemeinsamen Vergütungsregeln für Freie gekommen ist. Acht Jahre wird darüber verhandelt. Lieber VDZ: Es ist an der Zeit, für die Freien, die tragende Säule der Zeitschriftenlandschaft, endlich zu einem fairen und akzeptablen Vertragsabschluss zu kommen. Machen Sie es nicht, werden Sie angesichts Ihrer Rekordergebnisse mehr als unglaubwürdig. Die im BDZV organisierten Zeitungsverleger haben Vergütungsregeln für Texte zugestimmt. Angemessene Fotohonorare mussten aber in einem Schlichtungsverfahren ermittelt werden. Für beide Bereiche appelliere ich nachdrücklich, zu diesen Vereinbarungen in der Praxis auch zu stehen und die Honorare im Alltag nicht trotzdem zu drücken! In diese Reihe von Beispielen passt die verantwortungslose Unternehmenspolitik von zwei Finanzinvestoren bei der dapd.

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Bis Ende September wurden erfahrene Kolleginnen und Kollegen von anderen Nachrichtenagenturen und Printmedien abgeworben. Rosige Zeiten wurden ihnen versprochen. Am 2. Oktober wurde für einen Teil der Untergesellschaften der Insolvenzantrag gestellt. Haben diese Menschen kein Gewissen? Es ist skrupellos, was sie machen. Sie spielen mit Menschen, locken sie mit großen Versprechungen aus sicheren Arbeitsplätzen und stürzen sie in soziale Not. Niemand kann mir erzählen, dass man nicht schon Monate vorher wusste, dass die wirtschaftliche Situation auf eine Insolvenz zusteuerte. Was ging in den Köpfen der Herren Löw und Vorderwülbecke vor, denen Menschen und deren Familien egal sind? Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass die Agentur gerettet wird. Allerdings, und das wird der Preis sein, mit weniger Stellen als zuvor. Jeder von uns weiß, was das für die bedeutet, die ihren Arbeitsplatz verlieren. Anders als einige Medienpolitiker meine ich, dass wir in Deutschland mehr als eine große Nachrichtenagentur benötigen, um Vielfalt und Qualität zu sichern.

3. Medienkonsumenten – Orientierungshilfen im Mediendschungel

Der Bundesverband Deutscher Banken hat kürzlich eine repräsentative Untersuchung, die alle drei Jahre in Auftrag gegeben wird, veröffentlicht. Sie analysiert die Informationsvermittlung. Befragt wurden junge Menschen im Alter von 14 bis 24 Jahren. Ein Ergebnis: Alle Befragten wussten von der Finanz- und Euro-Krise, von ihr betroffen fühlten sich allerdings nur wenige. Gut 70 Prozent gaben an, dass sie kaum oder gar keinen Einfluss auf das eigene Leben hat. Haben wir alle dieses Thema nicht vermittelt? Oder wurden die Informationen nicht abgerufen? Letzteres scheint mir der Fall zu sein. Wie werden Medienkonsumenten künftig mit unseren Produkten umgehen? Haben Printmedien noch eine Zukunft oder werden Nachrichten künftig nur noch online gelesen? Wie werden sich Fernsehen und Hörfunk positionieren? Fragen, mit denen wir uns seit Jahren intensiv beschäftigten. Aber wie sieht es auf der Seite der Mediennutzer aus?

Viel wichtiger als bisher müssen Überlegungen und Projekte sein, wie künftig Menschen, insbesondere den Jüngeren, mehr Medienkompetenz vermittelt werden kann. Vornehmlich die klassischen Medien haben für sie kaum noch oder nur noch eine geringe Bedeutung. Jungen Menschen muss vermittelt werden, verlässliche Informationen als solche zu erkennen und sie von Infotainment und Doku-Soaps zu unterscheiden. Mediennutzungskompetenz ist eine Schlüsselqualifikation für die junge Generation In diesen Zusammenhang passt, dass Nachrichten im konservativen Sinn bei Jungen nicht mehr ankommen. Cool sind für sie dagegen Nachrichtenformate wie „RTL II News“, die eine bunte Nachrichtenvielfalt anbieten. Die Öffentlich-Rechtlichen dominieren noch im Vergleich der Gesamtquoten der Nachrichten, bei den 14- bis 49-Jährigen verlieren sie kontinuierlich.

Der Trend in dieser Altersgruppe tendiert eher zu den schnellen, häufig flüchtigen Informationen. Folgen einer Flut von Informationen, die uns täglich erreichen und die wir kaum noch bewusst verarbeiten. Uns scheint es nicht ausreichend zu gelingen, die abgehobene Sprache der Politik so zu vermitteln, dass sie verstanden werden kann. In der ständig wachsenden Medienlandschaft wird es immer schwerer werden, seriöse Informationen zu finden. Vorbei sind die Zeiten, als es zwei Fernsehsender und nur öffentlich-rechtliche Hörfunksender gab, in denen die morgendliche Tageszeitung Pflichtlektüre in fast jedem Haushalt war, Lehrer kontinuierlich Schüler mit der Zeitung und den Nachrichten im Unterricht beschäftigten. Die Medienvielfalt ist, ausgenommen sind Tageszeitungen, glücklicherweise reichhaltiger geworden. Das Internet und die privaten Rundfunksender machen es möglich, dass wir uns zu jeder Zeit aus unterschiedlichen Quellen informieren können.

Das vielfältige Angebot ist aber auch ein ständig steigender Anspruch an die Medienkompetenz, dem weder Eltern, Schulen oder Hochschulen gewachsen sind. Von diesem Anspruch hängt letztlich die Zukunft des Journalismus ab. Wir leben in einem Zeitalter ständig neuer und wechselnder Kommunikationswege. Mit der Vielzahl von Medienangeboten ist die Medienkompetenz nicht kontinuierlich gestiegen. Medienkompetenz ist die Befähigung, mediale Angebote in eigener Verantwortung zu nutzen, damit kritisch umzugehen, sie und ihre Zielsetzung zu verstehen, sie einzuordnen. Es muss mehr Medienkompetenz als bisher vermittelt werden. Nur so lernen wir alle, Mediensysteme und deren Angebote zu verstehen, zwischen ihnen zu selektieren. Nur so können junge Menschen eigene Verhaltensstrategien in der Mediennutzung entwickeln, können lernen, unseriöse Angebote zu erkennen und Alternativen zu finden.

Gelingt dies nicht, wird der Qualitätsjournalismus immer mehr in den Hintergrund treten, weil sein Wert für die Gesellschaft nicht mehr gesehen wird und die guten Medienprodukte keinen angemessenen Preis behaupten können. Konzepte sind erforderlich. Medienkompetenz muss zum Primärlehrfach werden. In der Summe kann Medienkompetenz als Lernbasis nur vom Elternhaus und durch die Schulen und Hochschulen weitergegeben werden. Erfolgreich wird dieser Ansatz, wenn auch die Medien selbst dazu beitragen, ihre Nutzer zu qualifizieren. Ein Ansatz, der noch mehr als bisher auch zu einem ausbaufähigen Studienbereich angehender Pädagogen werden muss. Die aktuellen Zahlen belegen, dass die Dauer der täglichen Mediennutzung zunimmt. Grund und Verpflichtung, dass Politiker, Kultusminister, Lehrerverbände und Hochschulen dieses Thema intensiver in den Fokus heben. Medien bestimmen den Alltag in weiten Teilen unseres täglichen Lebens. Wer sie nicht verantwortungsvoll nutzt, der wird abgehängt. Und - wer abgehängt ist, verliert die Fähigkeit, als Bürger „mündig“ zu sein, aktiv am Gemeinschaftsleben teilzunehmen und es mitzugestalten. Unsere Aufgabe ist es, den gesellschaftlichen Diskurs herzustellen.

4. Die Politik – endlich Verantwortung statt Fensterreden

„Besonders die lokale Berichterstattung ist existenziell für unsere Demokratie. Sie ist die Keimzelle, die jeden Tag Bürgernähe beweisen muss. Es ist unglaublich, welchen Einfluss die Zeitungen und Blätter haben, die für die Menschen in der Fläche geschrieben, produziert werden und wir können gar nicht dankbar genug dafür sein, dass es diese vielen Regionalzeitungen in Deutschland gibt und die sich ja auch um Qualitätsjournalismus bemühen.“ Auch das sagte Bundespräsident Joachim Gauck am 12. September dieses Jahres in Berlin. Und weiter: „Wir wissen: In der Nachbarschaft, in der Kommune, im Stadtteil, in der Region sind die Lebenswelten, wo die Leute sich begegnen. Da sind sie urteilsfähiger, als wenn über das Große und Ganze geschrieben und sich geärgert wird. Sie ärgern sich dort sachorientiert, sie

freuen sich dort informierter, denn sie erleben Politik hautnah mit und das lädt sie auch eher einmal ein, Politik mitzugestalten im Gemeinderat, in Vereinen oder Initiativen.“

Wahre Worte und eine treffende Beurteilung der Situation. Doch mehr als derartige Bekundungen hat es durch die Politik bisher nicht gegeben. Besonders was die Printmedien betrifft.

Die Spielwiese der Politik ist eher der öffentlich-rechtliche Rundfunk. Ein Staatsvertrag jagt den nächsten. Ich will diesen Bereich nicht herabsetzen, wünsche mir aber mehr Ausgleich in der Gewichtung der Medienthemen. Oft habe ich in Gesprächen mit Medienpolitikern das Gefühl, dass sie nicht wissen, was in einzelnen Bereichen der Medien an Problemen existiert. Das Thema Leiharbeit wird überhaupt nicht als Problem dem Journalismus zugeordnet. Die Gemeinsamen Vergütungsregeln haben zwar ein gesetzliches Fundament, es interessiert die Politik nicht, wie sie umgesetzt werden. Stehen allerdings die Verleger bei den Abgeordneten auf der Matte, beispielsweise mit dem Leistungsschutzrecht oder mit der Vereinfachung von Pressefusionen, dann läuft die Gesetzgebungsmaschinerie, ohne Rücksicht auf die Belange von Journalistinnen und Journalisten, auf Hochtouren.

Neulich berichtete mir ein Staatssekretär, dass er mit dem Holtzbrinck Verlag gesprochen und angesichts der Informationen habe erkennen müssen, wie schlecht es doch den Verlagen gehe. Als ich ihm die Renditezahlen entgegenhielt, wurde er nachdenklich. Verlagsgeschäftsführer jammern auf hohem Niveau. Auf Landes-, Bundes- und europäischer Ebene suchen wir Gespräche mit Medienpolitikern, sind gern gehörte Fachleute. Letztlich können wir nur unaufhörlich appellieren, damit die Politik endlich die journalistischen Rahmenbedingungen sichert und nicht nur immer auf die angeblichen Verlegerverluste schaut.

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Selbstgefälligen Verlagsgeschäftsführern ist redaktionelle Qualitätsarbeit mittlerweile egal. Was sind ihre Rezepte? Redaktionen noch mehr ausdünnen, um weiter Qualität abzubauen? Weniger bezahlen, um keine gut ausgebildeten Journalisten, seien es Feste oder Freie, mehr zu beschäftigen? Die Politik ist gefordert. Wir brauchen angemessene Gehälter und Honorare, um die redaktionelle Arbeit im Print- und Onlinebereich zu sichern. Fast alle Verlagshäuser in Deutschland erzielen Renditen, die das ermöglichen. Noch ist der Beweis nicht angetreten, dass in den Printmedien kein gutes Geld mehr zu verdienen wäre. Aber: Angesichts schlechterer Wirtschaftslage und fehlender Geschäftsmodelle für die vernetzte Zukunft diskutiert die Wissenschaft bereits über Alternativen. Stiftungsmodelle wie in Skandinavien oder andere staatsferne Finanzierungswege stehen zur Bewahrung investigativen Journalismus im Raum, sie gehören auch in Deutschland auf den Prüfstand.

Ulrike Kaiser hat ihn neulich schon als eine denkbare Option benannt, wenn der Markt versagen sollte, einen öffentlich-rechtlich finanzierten Printjournalismus. Ein visionärer Denkansatz. Warum eigentlich nicht? So könnten Zeitungen und Zeitschriften vor dem Niedergang bewahrt werden. So könnte Vielfalt gesichert werden. Eine staatsferne Finanzierung von Redaktionen aus Gebühren. Eine aus meiner Sicht reizvolle Denkrichtung. Losgelöst von anderen Ertragstöchtern, dürften nur Redaktionen in den Genuss dieser Förderung kommen. Durch eine von uns schon lange geforderte gesetzliche Festschreibung der inneren Pressefreiheit durch Redaktionsstatute könnte die Unabhängigkeit innerhalb eines Unternehmens zusätzlich gewährleistet werden. So jedenfalls, dass Redaktionen selbst über ihre Zukunft entscheiden.

Alle anderen Denkmodelle erscheinen mir eher halbherzig, seien es klassische Stiftungen oder die Finanzierung der Ausbildung von Volontären, sie dürften kaum erfolgreich sein. Wenn der Markt versagt, muss die Politik handeln, um professionellen Journalismus weiter zu ermöglichen. Das Thema ist aufgerufen. Die Politik muss sich vorbereiten, um rechtzeitig handeln zu können.

Ich bin mir bewusst, dass dieser Weg ein radikaler Paradigmenwechsel wäre, einer, der viel Mut und Durchsetzungskraft erforderte. Aber warum sollte nicht das klappen, was im Rundfunk schon jahrzehntelang funktioniert? Wenn die Politik immer nur tut, was sie kann, bleibt sie immer das, was sie schon ist. „Qualitativ hochwertiger Journalismus und unabhängiger Journalismus ist unerlässlich für das Funktionieren einer Demokratie.“ Das sagte Monika Grütters, die Vorsitzende des Ausschusses für Kultur und Medien im Deutschen Bundestag, vor zwei Wochen während der Verleihung des Journalistenpreises „Der lange Atem“ in Berlin. Richtig. Nur – die Politik muss die Rahmenbedingungen formulieren. Ansonsten ist das Funktionieren unserer Demokratie dem Niedergang preisgegeben.

Ich meine nicht nur die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, sondern auch die politischen, die freiheitlichen Schranken, innerhalb derer Journalisten arbeiten. Leider geraten in diesem Land Journalisten vereinzelt immer noch unter den Verdacht der Nestbeschmutzung, wenn sie kritisch berichten, wenn sie Affären aufdecken, die vorher niemand für möglich gehalten hätte. Unser Grußsollte deshalb an zwei freie Journalisten in Sachsen gehen, die für ihre mutige Berichterstattung über Korruption und Filz in die Mühlen der Justiz gerieten. Thomas Datt und Arndt Ginzel, wir stehen hinter Euch! Bei Eurem Berufungsverfahren in der nächsten Woche seid Ihr nicht allein.

Michael Konken