Multimedia
KNA – Jana Ballweber

KI-Branche entwächst dem Wildwest-Zeitalter – Erste Vergleiche und neue Geschäftsmodelle

Lange Zeit gingen KI-Firmen bei der Entwicklung ihrer Angebote mehr oder minder nach eigenem Gutdünken vor. Inzwischen konsolidiert sich die Branche aber. Das liegt auch an den Eigeninteressen der Unternehmen.

Bonn (KNA) "Move fast and break things." Bis 2014 agierte der US-Digitalkonzern Facebook, heute Meta, unter diesem martialischen Motto. Die Entwickler sollen schnell vorwärtskommen und Dinge kaputt machen, forderte Firmengründer Mark Zuckerberg. Obwohl sich der Leitspruch in der Zwischenzeit geändert hat, lässt sich die Vorgehensweise im Tech-Business bis heute immer wieder entdecken.


Dahinter steckt ein Grundprinzip des digitalen Kapitalismus: Weil es vergleichsweise schwer ist, mit digitalen Angeboten Geld zu verdienen, versuchen Unternehmen mit neuen Produkten, möglichst schnell Abhängigkeiten zu erzeugen und Wettbewerber aus dem Weg zu räumen. Wenn dann niemand mehr ohne das eigene Produkt auskommt und es kaum noch Alternativen gibt, lassen sich Preise anheben und Kosten einsparen - oft zulasten der Nutzerfreundlichkeit.

 

Auch in der KI-Branche sind die Unternehmen so vorgegangen. Seit der Hype um Chatbots und große Sprachmodelle mit der Veröffentlichung von ChatGPT im Herbst 2023 so richtig durchstartete, haben sich die KI-Unternehmen schnell bewegt - und dabei eine Menge kaputt gemacht.

 

Streit ums Urheberrecht

Insbesondere beim Urheberrecht und bei der Vergütung von Verlagen und Journalisten kam es immer wieder zu Streit, wenn KI-Anbieter Trainingsdaten massenweise und ohne Erlaubnis aus dem Netz gefischt und mit ihren Modellen Fakten geschaffen haben - und geltendes Recht eher mal links liegen ließen. Gerichtsverfahren kamen mit der rasanten Entwicklung der Technik kaum hinterher.

 

Doch inzwischen zeigen sich erste Anzeichen der Konsolidierung in der Branche. Obwohl die Angebote im KI-Bereich im Vergleich zu anderen Sparten der Digitalwirtschaft noch verhältnismäßig vielfältig sind, haben sich einige Platzhirsche ihr Revier erkämpft und scheinen nun Schritte einzuleiten, um es zu verteidigen.

 

Exemplarisch zeigen sind diese Tendenzen an zwei Nachrichten aus der Welt der KI, die in den vergangenen Tagen und Wochen durch die Medien geisterten. Zunächst wäre da die KI-Firma Anthropic, die sich in einem von manchen als "historisch" bezeichneten Vergleich mit Autoren geeinigt hat, die wegen Urheberrechtsverletzungen gegen das Unternehmen vorgegangen waren. Zahlreiche Buchautoren und Verlage klagen derzeit gegen verschiedene KI-Unternehmen, weil deren Werke zum Training der KI zum Einsatz gekommen sein sollen und die Sprachmodelle hin und wieder das urheberrechtlich geschützte Material auch als Antwort wieder an die Nutzer ausspucken. In den meisten Fällen haben sie den Urhebern dafür keine Entschädigung gezahlt und nicht um Erlaubnis gefragt.

 

Juristisch arrangieren

Die Sammelklage gegen Anthropic hätte KI-Verbänden zufolge das Potenzial gehabt, die komplette KI-Industrie finanziell zu ruinieren, falls das Gericht bestätigt hätte, dass das Unternehmen gegen geltendes Recht verstoßen hat. Anthropic hatte Anfang August gesagt, dass es sieben Millionen potenziell Geschädigte gebe, die alle jeweils eine Strafzahlung von bis zu 150.000 Euro hätten erreichen können. Außerdem hätte ein Urteil zugunsten der Autoren Auswirkungen auf alle anderen Verfahren rund um KI und Urheberrecht haben können.

 

Gerichtsfest ist der Vergleich bislang noch nicht, doch beide Seiten haben in der vergangenen Woche eine Einigung bestätigt. Das zeigt zweierlei: Erstens scheinen die KI-Firmen beim Training ihrer Modell tatsächlich nicht ganz sauber vorgegangen zu sein, sonst hätten sie ein Urteil in dem Prozess nicht so fürchten müssen. Zweitens erkennen die Kläger an, dass die Existenz von Künstlicher Intelligenz eine Tatsache ist, die nicht mehr umgekehrt werden wird und mit der alle Seiten sich jetzt juristisch, wirtschaftlich und politisch arrangieren müssen.

 

Worin der Vergleich genau besteht, ist noch nicht öffentlich bekannt, soll aber in den kommenden Wochen bekanntgegeben werden. Der Anwalt der klagenden Autoren sagte dem US-Onlinemedium Ars Technica, dass alle Personen, die sich der Sammelklage hätten anschließen können, von dem Vergleich profitieren werden.

 

Neue Geschäftsmodelle

Die Erkenntnis, dass man nicht einfach so weiter durch die Online-Publizistik marodieren und Texte, Bilder, Tonspuren und Videos von Verlagen, Medienhäusern und freischaffenden Autoren für die KI-Entwicklung einsammeln kann, scheint auch in der KI-Industrie angekommen. Ende August gab das Unternehmen Perplexity den Start eines neuen Angebots bekannt. Comet Plus soll Abonnenten Zugang zu "Premium Content" von einer "vertrauenswürdigen Gruppen von Verlagen und Journalisten" geben.

Das Unternehmen schreibt in der entsprechenden Mitteilung, Comet Plus greife bei Anfragen von zahlenden Kunden direkt auf die Seiten der Verlage zu, um dort nach einer entsprechenden Antwort auf die Frage zu suchen. Anstatt den Gewinn wie bislang üblich für sich zu behalten, soll er an die beteiligten Partner ausgeschüttet werden - abzüglich der Kosten für die Rechenleistung, die bei Perplexity für den Service anfällt.

 

Das Geschäftsmodell sei das erste seiner Art, das Journalismus und Publizistik im KI-Zeitalter ermögliche, so das Unternehmen. Das Angebot soll außerdem den Wünschen entsprechen, die Nutzer an das Internet haben.

 

Vermeintliche Großzügigkeit

Hinter der vermeintlichen Großzügigkeit des KI-Konzerns dürften aber noch weitere Beweggründe stecken. Einerseits liefern viele KI-Modelle nicht die erwünschte oder erforderliche Qualität, wenn sie auf Nutzeranfragen antworten. Selbst die führenden Anbieter haben immer noch mit falschen Informationen, gefährlichen Ratschlägen und Halluzinationen zu kämpfen, die ihre Modelle an die Nutzer ausspucken - weswegen viele Menschen sich von den Angeboten abwenden.

 

Andererseits gibt es immer mehr Hinweise darauf, dass KI-Modelle nicht damit umgehen können, wenn sie mit KI-generierten Daten trainiert werden. In Studien zeigte sich immer wieder, dass die Ergebnisse deutlich schlechter werden, wenn die Trainingsdaten eines Modells selbst von einer KI erstellt wurden.

 

Durch die steigende Verbreitung von KI-Anwendungen ist das Netz inzwischen aber voll von Texten und Bildern, die mindestens zum Teil KI-generiert sind - und die sich somit nicht mehr gut für das Training eignen. Auf der Suche nach neuem Trainingsmaterial müssen die KI-Firmen also auf Anbieter zugehen, bei denen sie damit rechnen können, dass die Texte zum großen Teil von Menschen erstellt wurden - etwa bei journalistischen Medien, die KI-Texte oft aus ethischen Gründen ablehnen. Um diese Quelle des Trainingsmaterials nicht versiegen zu lassen, dürfen die Verlage aber nicht pleite gehen. Die KI-Branche hat also ein eigennütziges Interesse daran, dass auch Menschen weiterhin Texte schreiben.

 

Ob das neue Geschäftsmodell ausreicht, um die Verlage finanziell ausreichend abzusichern, bleibt abzuwarten. Die Fälle von Anthropic und Perplexity zeigen aber dennoch, dass alle Akteure sich offenbar im Klaren sind, dass KI-Sprachmodelle kein Trend sind, der wieder weggehen wird. Gleichzeitig hat KI aber auch ein wenig den Eindruck des Magischen verloren, den die Modelle in den Anfangstagen auf viele Menschen hatten. Der Alltag zieht in die KI-Branche ein, die Technik etabliert sich, juristische und wirtschaftliche Abläufe stellen sich langsam aber sicher auf die Innovation ein. Die Unternehmen lernen, dass sie alles, was sie kaputt machen, auch nicht mehr für ihre eigenen Zwecke nutzen können und unterwerfen sich deshalb zunehmend wieder Recht und Gesetz. Zumindest, bis die nächste technische Revolution am Horizont heraufdämmert.