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KNA – Jana Ballweber

Gerichte legen Urheberrecht zunehmend zugunsten von KI-Firmen aus

KI-Entwicklung und das klassische Urheberrecht vertragen sich meist nicht besonders gut. In zahlreichen Klagen müssen Gerichte abwägen, welche Nutzung geschützten Materials noch zulässig ist. Inzwischen zeigt sich ein deutlicher Trend.

Bonn (KNA) – Der Streit ums Urheberrecht ist deutlich älter als die Technologien, die heute unter dem Begriff „Künstliche Intelligenz“ zusammengefasst werden. Dennoch war der Kampf schon lange nicht mehr so erbittert wie seit dem Start des jüngsten KI-Hypes 2022. Unzählige Verfahren gegen KI-Firmen sind vor allem in den USA anhängig. Buchautorinnen, Fotografen und Medienunternehmen wehren sich dagegen, dass ihre Werke ohne Einverständnis und Gegenleistung für die Entwicklung von KI herangezogen werden.


In der vergangenen Woche sind einige dieser Prozesse zu Ende gegangen – meist mit glücklicherem Ausgang für die KI-Unternehmen. Drei Autorinnen und Autoren hatten etwa Anthropic verklagt, das Unternehmen hinter dem Chatbot Claude. Anthropic hatte sowohl Bücher von illegalen Webseiten heruntergeladen als auch gedruckte Bücher gekauft, digitalisiert und für die Entwicklung der eigenen KI-Modelle genutzt. Während ersteres weiterhin illegal bleibt, billigte ein kalifornisches Gericht die Praxis der Buch-Digitalisierung. Kritik hatte Anthropic vor allem deshalb auf sich gezogen, weil die gedruckten Werke nach dem Einscannen vernichtet worden waren – eine gigantische Ressourcenverschwendung.

 

Überraschendes Urteil
Das Urteil überrascht – vor allem, weil die gemeinnützige Organisation Internet Archive in einem auf den ersten Blick ähnlichen Fall im vergangenen Jahr verloren hatte. Vier US-Verlage hatten die Organisation, die einen möglichst großen Teil menschlichen Wissens online archivieren und verfügbar machen möchte, wegen ihrer digitalen Bibliothek verklagt. Seit 2011 hatte das Internet Archive digitale Exemplare von Büchern verliehen, nachdem es je ein Exemplar gekauft und digitalisiert hatte, wobei immer nur eine Person gleichzeitig Zugriff erhielt. Das Prinzip glich dem einer normalen Bibliothek – nur digital.

 

Dennoch urteilte das Gericht damals gegen das Internet Archive. Grundlage war das „Fair Use“-Prinzip, das die Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke unter bestimmten Bedingungen erlaubt. Die Gerichte prüfen dafür vier Faktoren: den Zweck der Nutzung, die Art des Materials, den Umfang der Nutzung und den Einfluss auf den potenziellen Markt des Originals.

 

Im Fall des Internet Archive sahen die Verlage ihren E-Book-Markt bedroht, wenn neben den offiziell lizenzierten Versionen kostenlose digitale Exemplare verliehen werden. Das Gericht entschied zugunsten der Verlage, das Internet Archive musste das Projekt einstellen.

 

Warum KI anders behandelt wird
Warum treffen Gerichte im Fall von KI fundamental andere Entscheidungen? Neben Anthropic konnte auch Meta kürzlich einen Prozess für sich entscheiden. Mehrere prominente Autorinnen und Autoren hatten gegen den Konzern geklagt, weil dessen KI ganze Passagen ihrer Bücher exakt wiedergegeben habe und so dem Markt für digitale Lizenzen schade. Doch das Gericht folgte dieser Argumentation nicht.

 

Interessant: Das Gericht stellte nicht fest, dass Metas Vorgehen legal sei. Es ließ aber erkennen, dass eine Klage womöglich mehr Aussicht auf Erfolg gehabt hätte, wenn der Vorwurf gelautet hätte, Meta überschwemme den Markt mit KI-generierten Büchern, die urheberrechtlich geschützten Werken ähneln. Dies könnte als unzulässige Einschränkung von Autorenrechten gewertet werden.

 

Auch der Fall Anthropic zeigt, wie schwer Vorhersagen sind, wie Gerichte urteilen. Dass die Digitalisierung gedruckter Bücher unter „Fair Use“ fällt, war eine Abwägungsfrage. Entscheidend war hier, dass Anthropic die Nutzung veränderte: von einem physischen Buch im Regal zu einer digitalen Datei. Dass die gedruckten Ausgaben vernichtet wurden, könnte den Ausschlag gegeben haben. Das Internet Archive hingegen hatte ausdrücklich betont, die Bücher weiterhin vorzuhalten, um den legalen Ausleihprozess ins digitale Zeitalter zu bringen. Dieses Argument ließen die Richter damals nicht gelten.

 

Abwägung im Einzelfall
Das „Fair Use“-Prinzip atmet den Geist der Gemeinnützigkeit. Es soll ermöglichen, urheberrechtlich geschütztes Material für gesellschaftlich wünschenswerte Ziele wie Bildung zu nutzen. Auch Parodien oder Memes sind oft darunter geschützt. Doch weil vier Faktoren zu prüfen sind, landen viele Fälle vor Gericht, wo jedes Mal neu abgewogen wird.

 

In der Praxis zeigt sich nun: Gerichte in den USA entscheiden vor allem dann zugunsten einer Nutzung, wenn es um wissenschaftliche Innovationen mit wirtschaftlichem Potenzial geht. Wer wie das Internet Archive marginalisierten Menschen den Zugang zu Literatur erleichtern möchte, kann sich darauf nicht verlassen. Wer hingegen eine Technologie entwickelt, in die große wirtschaftliche Hoffnungen gesetzt werden, kommt oft glimpflich davon.

 

Ein Muster mit Geschichte
Dieses Prinzip hat Tradition. Immer wieder versuchten etablierte Anbieter, Innovationen mit dem Urheberrecht zu stoppen. Schon im 19. Jahrhundert wollten Komponisten und Verlage verhindern, dass Notenrollen verbreitet werden, die in Leierkästen genutzt wurden – ihr Argument: Der Verkauf von Notenblättern würde geschädigt.

 

Später wurden Notenrollen durch Schallplatten und Kassetten ersetzt, diese wiederum vom Radio, das Tonträger live spielte. Dem Radio ging es mit Kabelfernsehen an den Kragen, dem Fernsehen mit Videorekordern und DVDs, den DVD-Anbietern mit dem Internet. All diese Transformationen waren von Klagen begleitet – aufhalten konnten sie den Fortschritt nicht.

 

Das zeigt: Wer mit einer innovativen Technologie im Zentrum von Urheberrechtsklagen steht, kann später selbst diejenigen Geschäftsmodelle angreifen, die die eigenen Profite gefährden.

 

Geschichte wiederholt sich
Genau das geschieht bei KI bereits: Als das chinesische KI-Modell Deepseek veröffentlicht wurde, geriet der US-Tech-Markt ins Wanken. Zwar zeigte sich schnell, dass Deepseek nicht alle Erwartungen erfüllte. Doch ausgerechnet jene US-Konzerne, die für ihre KI-Modelle überall Trainingsmaterial zusammengetragen hatten, klagten nun, die Chinesen hätten sich für ihre womöglich effizientere und billigere KI bei ihren Algorithmen bedient.

 

Wie gesagt: Geschichte wiederholt sich.