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Sebastian Heiser: "Hätte Kritik vielleicht früher äußern müssen"

Schwere Vorwürfe erhebt "taz"-Redakteur Sebastian Heiser in seinem privaten Blog gegen die "Süddeutsche Zeitung". Von Bülend Ürük.

Berlin - Die Tageszeitung aus München soll "Schleichwerbung für Steuerhinterziehung" betrieben haben. Im Mittelpunkt vor acht Jahren - Sebastian Heiser selbst, der damals die Texte dazu verfassen sollte.

Warum er ausgerechnet jetzt seinen Blogbeitrag unter "SZ-Leaks" veröffentlicht, erklärt Sebastian Heiser im NEWSROOM-Interview so: "Den letzten Ausschlag gaben dann die Swiss-Leaks. Ich fand diese Heuchelei unerträglich, mit der die SZ sich heute als Kämpferin für Steuerehrlichkeit darstellt, obwohl sie damals genau diese Steuerhinterziehung im Ausland befeuert hat."

Am Dienstag hielten sich die Tageszeitungen auch auf ihren Medienseiten mit einer Berichterstattung über die Kritik Heisers zurück; selbst die "taz" schrieb über die Vorwürfe bislang nichts.

Herr Heiser, wie sehr mögen Sie eigentlich Ihren Job bei der taz?

Sebastian Heiser: Es ist genau das, was ich immer machen wollte.


Gibt es da nichts, was Sie kritisieren würden?

Sebastian Heiser: Nein, warum?


Ich frage vor allem deshalb, weil Sie es sich mit Ihren Recherchen nicht nur mit der Funke Mediengruppe, Madsack, FAZ Verlag, Zeit Verlag, Neues Deutschland und der Verlagsgruppe Rhein-Main, sondern nun auch mit der Südwestdeutschen Medienholding verscherzt haben. In einem Blogbeitrag schreiben Sie, dass Sie als Redakteur der „SZ“ vor acht Jahren Tipps für Steuerhinterzieher geben mussten. Was genau steckt hinter Ihrer Kritik?

Sebastian Heiser: Ich kritisiere, dass Anzeigenkunden dort Einfluss auf redaktionelle Inhalte kaufen können. Das halte ich für Betrug an den Lesern. Meiner Meinung nach sollten Anzeigen und Artikel strikt getrennt sein. Und ich finde, die Artikel sollte eine Redaktion danach auswählen, welche Themen wichtig sind - und nicht danach, welche Themen sie bezahlt bekommt. Leider ist genau diese Vermischung aber weit verbreitet. Branchenintern ist das allgemein bekannt, aber man spricht nicht öffentlich darüber. Mit meinen Recherchen zum Thema ging es mir darum, im Detail aufzeigen zu können, wie viel Einfluss auf redaktionelle Inhalte in den den jeweiligen Medien käuflich ist.

Sie haben es bei der „SZ“ damals zehn Wochen "ausgehalten", fühlten sich als verlängerter Arm der Anzeigenabteilung. Warum kritisieren Sie ausgerechnet heute Ihren früheren Arbeitgeber?

Sebastian Heiser: Leider habe ich kein Medium gefunden, das dies früher veröffentlichen wollte. Ich habe lange davor zurückgeschreckt, es ganz alleine und privat zu machen. Sie kennen ja das Sprichwort: Man liebt den Verrat, aber nicht den Verräter. Es gab jetzt zwei Entwicklungen, die mich dazu dann doch ermutigt haben: Einerseits wird Steuerhinterziehung immer verpönter. Und andererseits sind Whistleblower sozial immer stärker akzeptiert - die Süddeutsche Zeitung hat sie am Wochenende sogar zu ihren Mitarbeitern der Woche erkoren. Den letzten Ausschlag gaben dann die Swiss-Leaks. Ich fand diese Heuchelei unerträglich, mit der die SZ sich heute als Kämpferin für Steuerehrlichkeit darstellt, obwohl sie damals genau diese Steuerhinterziehung im Ausland befeuert hat.

Aber hätten Sie nicht viel früher Ihre Stimme erheben müssen? Ihre Erlebnisse bei der „Süddeutschen Zeitung“ haben Sie schließlich bereits 2011 bei Ihrer Undercover-Recherche „Die Schleichwerber“ aufgegriffen, damals unter anderem bei der „Frankfurter Rundschau“ als falscher Tobias Kaiser (Beruf: Key Account Planning Effizienzer) von der nicht existierenden Firma „coram public - Werbung ohne Streuverluste“) versucht, Sonderseiten zur Steuerhinterziehung zu platzieren. Wäre das nicht der richtige Zeitpunkt gewesen, über Ihre Erfahrungen bei der „Süddeutschen Zeitung“ zu berichten?

Sebastian Heiser: Ja, vielleicht haben Sie Recht. Aber wer weiß schon vorher, wann der richtige Zeitpunkt ist.


Sie haben nach Ihrer Kündigung ein Jahr gebraucht, um wieder Boden unter den Füßen zu kriegen. Haben Sie da zwischendurch gedacht, dass die Messlatte, die Sie an Journalismus und Medien legen, eventuell zu hoch angesetzt sein könnte?

Sebastian Heiser: Ich finde meine Messlatte gar nicht so hoch. Ich will schreiben dürfen, was Sache ist. Im Idealfall also die Wahrheit, zumindest aber die Annäherung daran nach bestem Wissen und Gewissen. Jedenfalls will ich nicht gezwungen werden, alles durch die Brille des Werbekunden zu betrachten und die Dinge in dessen Sinne schönzuschreiben. Das finde ich nicht zu viel verlangt von einem Arbeitgeber, der mich einstellen will.

Ihr Ressortleiter bei der „SZ“ hat Ihnen damals gesagt, dass sich Ihre „kritische Denke“ im Laufe der Zeit „ein bisschen abschleifen“ werde. Sind Sie heute tatsächlich weniger kritisch als damals?

Sebastian Heiser: Es fällt mir schwer, das in der Rückschau zu beurteilen. Acht Jahre sind eine lange Zeit.


Wie Sie damals stecken auch heute immer wieder junge Kollegen in Zwickmühle, müssen sich entscheiden, zwischen Arbeitslosigkeit und einem Job in einer Redaktion, bei dem sie eventuell einen Teil ihrer Ideale verraten müssen. Was würden Sie ihnen raten?


Sebastian Heiser: Das ist wirklich eine harte Frage. Wenn man dort drin steckt, hat jede Entscheidung ihre Nachteile. Es sollte solche Jobs gar nicht erst geben.

In Ihrem Blog haben Sie auch Audiodateien veröffentlicht, auf denen die Stimmen Ihrer damaligen Kollegen bei der „Süddeutschen Zeitung“ zu hören ist. Haben die sich schon bei Ihnen gemeldet? Wie sind die Reaktionen?

Sebastian Heiser: Noch hat sich niemand von denen gemeldet. Aber das würde ich ehrlich gesagt an deren Stelle wohl auch nicht machen.

Die Fragen an Sebastian Heiser stellte Newsroom.de-Chefredakteur Bülend Ürük.