Nach Nannen-Eklat: Journalisten gespalten - "Hans Leyendecker und Kollegen haben den Rubikon überschritten"
Die Aufregung unter den deutschen Journalisten ist nach dem Eklat beim Henri-Nannen-Preis groß. Durften die SZ-Kollegen um Hans Leyendecker den Preis so brüsk ablehnen? Für Weser-Kurier-Chefredakteurin Silke Hellwig ist die Jury-Entscheidung "bemerkenswert seltsam", Christian Lindner, Chefredakteur Rhein-Zeitung, findet dagegen die SZ-Kollegen "elitär und überheblich", von einer "kaputten, übereitlen Branche" spricht Klaus Boldt vom Manager Magazin. NEWSROOM-Chefredakteur Bülend Ürük hat sich umgehört - ein Stimmungsbild.
Berlin - Die Meinungen der von NEWSROOM befragten Journalistinnen und Journalisten könnten nicht unterschiedlicher sein. Der Hamburger Eklat hat für viel Wirbel gesorgt, lässt niemanden kalt.
Rüdiger Oppers, Chefredakteur Neue Ruhr Zeitung / Neue Rhein Zeitung, erklärt: "Ich kann Hans Leyendecker gut verstehen. Er ist ein renommierter Journalist, womöglich der einzige unabhängige "Enthüllungsjournalist" der Republik. Ich schätze "Bild", Kai Diekmann und seine Redaktion. Aber preiswürdig war die Auseinandersetzung mit Herrn Wulff nicht. Der damalige Bundespräsident hatte sein Amt über - und "Bild" unterschätzt."
Nora Gantenbrink.
Deutliche Worte findet die freie Journalistin Nora Gantenbrink. Zu NEWSROOM sagt die 26-jährige ehemalige Redakteurin von Spiegel Online: „Es ist völlig in Ordnung die Bild-Zeitung für ein Scheißblatt zu halten. Es ist nicht in Ordnung Preisträger der Bild-Zeitung beim Betreten der Bühne auszubuhen. Ich verstehe nicht, warum es für Hans Leyendecker in Ordnung ist mit der Bild nominiert zu sein, aber undenkbar mit ihnen in einer Kategorie einen Preis anzunehmen. Wenn der Kulturbruch so groß ist und die SZ-Redakteure so konsequent, warum haben sie die Preisverleihung dann nicht von Anfang an boykottiert? Vielleicht für die Show, für den Auftritt der Verweigerung und die Zuschaustellung ihrer moralischen Überlegenheit?"
"An diesen albernen Preis-Ausschreibungen teilzunehmen, ist schon peinlich genug - haben die SZ-Medienmoralisten wirklich ihre Schreibarbeiten kopiert, eingetütet, zugeleckt, frankiert und an das Henri-Nannen-Fachkomitee geschickt (oder emailt man heute PDFs)? Die Annahme des Pokals dann aber auch noch in fürstlich-erhabener Wichtigkeitspose abzulehnen, weil man nicht gemeinsam ausgezeichnet werden möchte mit irgendwelchen Typen von Bild, zeigt, in welchem kaputten Zustand sich diese übereitle Branche inzwischen befindet", findet Klaus Boldt, New-York-Korrespondent vom Manager Magazin.
Silke Hellwig, Chefredakteurin vom Bremer Weser-Kurier, geht im Gespräch mit NEWSROOM mit der Nannen-Jury hart ins Gericht: "Dem seriösen, aufrichtigen und engagierten Journalismus haben Hans Leyendecker und seine Kollegen mit ihrer Entscheidung einen großen Dienst erwiesen. Denn wie die Jury das Zuerkennen des Preises an die "Bild" begründet, ist bemerkenswert - bemerkenswert seltsam. Wenn "der Superlativ einer gesellschaftlichen Wirkung" und das Auslösen eines großen Skandals preiswürdig sind, sollte im Nachhinein fix der "Stern" gewürdigt werden. Für die "Hitler-Tagebücher".
Grundsätzlicher wird die Auslandskorrespondentin Brigitte Kramer, die von Spanien aus für deutschsprachige Medien wie die Neue Zürcher Zeitung, Der Standard oder mare berichtet. Zu NEWSROOM sagt sie: „Hans Leyendecker und seine Kollegen Klaus Ott und Nicolas Richter haben es geschafft, Journalismus zum Thema zu machen - sogar in den Tagesthemen. Sie haben mit ihrer Ablehnung der Bild-Zeitung eine Diskussion losgetreten, in der es um die Grundpfeiler des Journalismus geht, um den Dienst der Medien an der Demokratie. Und sie haben es geschafft, dass nun auch branchenfremde Medienkonsumenten erfahren, wie uneins die Szene ist und wie lebendig über Auftrag und Ausübung des Berufs diskutiert wird. Das finde ich außerordentlich.“
Außer Frage sei es, dass Leyendecker und seine Kollegen den Preis verdient hätten, Bild dagegen nicht: „Die von der Jury ausgezeichnete Arbeit der Redakteure Nikolaus Harbusch und Martin Heidemanns darf man nicht aus dem Kontext reißen, das war ein Fehler. Es wird immer auch das Medium geehrt. Man sollte nicht vergessen, wie sich die Zeitung in ihrer Berichterstattung um Wulff selbst inszeniert hat. Dass sich die SZ-Reporter nun von den Bild-Kollegen distanziert haben, mag hochnäsig wirken. Ich werte es als Fußtritt gegen solche, die Journalismus mit zynischer Manipulation verwechseln.“
Brigitte Kramer.
Für Brigitte Kramer steht fest: „Dass die Bild seit so vielen Jahren so hohe Auflagen erzielt, ist eine Schande für Deutschland. Das sage ich auch im Hinblick auf die Verwunderung, die das Medium im Ausland hervorruft. Was ist das für ein Land, in dem eine derart menschenverachtende Berichterstattung so viele Leser findet? Ich bin überzeugt, dass Bild die Mentalität der Deutschen entscheidend prägt – und zwar ihre dunkle Seite, die, die in den Nachbarländern Unverständnis und Ablehnung hervorruft. Ohne die Bild wären die Deutschen ein besseres Volk.“
Tim Wessling, Journalistikstudent an der Deutschen Journalistenschule München, glaubt, "dass der Eklat auf ein Ego-Problem der Münchener Redaktion zurückzuführen ist. Das ist schade. Ein Kampf um die Meinungsführerschaft in der Republik kann die Medienlandschaft nicht gebrauchen. Selbst die taz hat sich augenzwinkernd mit der Bild abgefunden. Man respektiert zwar nicht das Medium, aber zumindest die Kollegen."
"Die Ablehnung des Preises zeugt von elitärem und damit überheblichem Denken bei der Süddeutschen Zeitung", sagt Christian Linder, Chefredakteur der Rhein-Zeitung. "Mit dem Henri-Nannen-Preis werden „die besten journalistischen Arbeiten in deutscher Sprache“ ausgezeichnet – keine Blätter, keine Blattkonzepte und schon gar keine Verlage. Und wenn die Hälfte einer zehnköpfigen Jury – lauter Schwergewichte der deutschsprachigen Publizistik – anhand dieses Kriteriums die investigative Recherche zweier Journalisten der Bild-Zeitung für preiswürdig erachtet, hätte es kollegiale Fairness gegenüber diesen Juroren wie gegenüber den beiden Bild-Autoren geboten, diese Entscheidung mit der Annahme des wegen des dreimaligen Jury-Patts geteilten Preises zu respektieren", erklärt Lindner im NEWSROOM-Gespräch. "So diskussionswürdig der Gesamtkomplex des Umgangs von Bild und Springer mit den Wulffs auch war und ist: Die für den Henri-Nannen-Preis eingereichte Initial-Recherche der Springer-Autoren Martin Heidemanns und Nikolaus Harbusch über Wulffs Privatkredit war guter, mutiger und denkwürdiger Journalismus. Und keine journalistische Arbeit hatte in Deutschland 2011 weitreichendere Folgen als diese Recherche."
"Ich fand es befremdlich, dass die Bildzeitung für die Berichterstattung über Wulff mit dem Henri-Nannen-Preis ausgezeichnet wird. Betrachtet man deren Berichterstattung über Wulff in der Kontinuität, wird doch sehr schnell deutlich, dass die Redaktion strategisch, statt investigativ gearbeitet hat", sagt die Münchener Journalistin Marlene Halser.
"Wenn Hans Leyendecker die Annahme des Preises tatsächlich nur deshalb ablehnt, weil er mit den Preisträgern der Bild-Zeitung nicht am selben Tag die Ehrung entgegennehmen möchte, gleichzeitig aber die Entscheidung der Jury respektiert, ist das ein Ausdruck seiner ganz persönlichen Haltung. Wer diese persönliche, innere Einstellung konsequent lebt, der Verführung der medialen Aufmerksamkeit - selbst wenn es um eine der höchsten journalistischen Auszeichnungen geht - die kalte Schulter zeigt, hat allen Respekt verdient. Mich treibt jedoch die Frage um, ob Hans Leyendecker den Preis auch abgelehnt hätte, wenn die Kollegen von Bild im Vorjahr ausgezeichnet worden wären? Oder ob er den Henri-Nannen-Preis 2012 zurückgeben würde, wenn Bild 2013 oder später damit gewürdigt werden würde?", erklärt Ulrike van Weelden, Redakteurin bei der Bürstädter Zeitung.
Eine Bitte hat die profilierte Journalistin aber an die Jury und an die Preisstifter: "Wenn ich die Nominierungen der vergangenen Jahre anschaue, ist doch eine gewisse Häufung einiger weniger Titel festzustellen. Findet in anderen Publikationen so wenig Qualitätsjournalismus statt, dass er den Kriterien des Henri-Nannen-Preises nicht entspricht? Diese Frage ist kein Rat, nur eine kleine Bitte, darüber nachzudenken – und aus der Antwort Konsequenzen zu ziehen."
"Für mich zeugt Hans Leyendeckers Ablehnung des Henri-Nannen-Preises von einer traurigen Arroganz gegenüber den Kollegen der Bild-Zeitung. Dass die Jury sich auch für eine Auszeichnung für Martin Heidemanns und Nikolaus Harbusch entschieden hat, sollte als Zeichen dafür genügen, dass auch die Arbeit der Bild-Redakteure eine Wertschätzung genießt, wie sie die Redakteure der Süddeutschen Zeitung in diesem Fall voraussetzen", sagt Julian Mengler, Redakteur beim Radiosender Energy Sachsen in Leipzig. Für ihn steht fest: "In der Kategorie "Beste investigative Leistung" spielt meiner Ansicht nach die "Marke" keine Rolle: Ausgezeichnet wird nicht, in welcher Zeitung der Artikel abgedruckt wird und seine Leser erreicht. Ausgezeichnet werden die Rechercheleistung, die Mühe, die Akribie und auch der Mut, sich als Journalist hartnäckig auf einen steinigen Weg zu begeben. Herzlichen Glückwunsch an die Kollegen Hans Leyendecker, Klaus Ott, Nicolas Richter, Martin Heidemanns und Nikolaus Harbusch - ganz bewusst in einem Atemzug erwähnt."
"Mich irritiert vor allem, dass die Jury kein klares Bekenntnis zu einer herausragenden Recherche gewagt und stattdessen eine wenig souveräne Doppelauszeichnung beschlossen hat - was bislang doch eher unüblich war. Die Kategorie nennt sich schließlich "Beste investigative Leistung" und nicht "Beste investigative Leistungen". Im Nachhinein hat es also den peinlichen Anschein, als wolle man zwei wichtigen und mächtigen Verlagen nicht den Spaß an der Veranstaltung verderben", sagt Nils Glück. Der Journalistikstudent an der TU Dortmund warnt davor, dass der Preis an Strahlkraft büßen könnte: "Wenn es bei diesem Preis aber nur noch um den Wettstreit von Medienmarken und weniger um publizistisch vorbildliche Einzelleistungen geht, wird das Ansehen der Auszeichnung beschädigt. Das ist sehr schade. Im Übrigen gehört die "Bild" genauso zur investigativen Landschaft wie die "SZ". Ich sehe in der Ablehnung der SZ-Journalisten vor allem einen Seitenhieb gegen die Jury, die mit der Tradition des Preises gebrochen hat, indem sie zwei Reportergruppen gleichermaßen auszeichnen wollte. Diesen Seitenhieb kann ich insofern verstehen und die Jury wird sich damit auseinandersetzen müssen", so Glück zu NEWSROOM.
Humorvoll betrachtet Constantin Seibt vom Zürcher Tagesanzeiger die Diskussion. Im Gespräch mit NEWSROOM erklärte er: "Ich vermute, der Henri-Nannen-Preis ist bei der Ehrung der Bild-Zeitung für Ihre Berichterstattung bei der Wulff-Affäre der Definition von Journalismus in Jörg Fausers Roman "Das Schlangenmaul" gefolgt. Dort steht: "Evelyn darf man nicht so ernst nehmen", sagte ich, "Sie glaubt immer noch, dass Journalismus aus Fragen und Antworten besteht." "Und woraus besteht er deiner Ansicht nach?" "Wenn einer hinfällt, ihm in die Fresse treten", sagte ich und trank meinen Jasmintee aus.
"Hans Leyendecker und Kollegen haben den Rubikon überschritten"
Frank Überall, Journalist und Politologe aus Köln, kann die Entscheidung von Hans Leyendecker menschlich nachvollziehen, hält sie aber für übertrieben: "Natürlich kann man zuweilen über die Recherche- und Berichtspraktiken von Boulevardmedien im Allgemeinen und der Bild-Zeitung im Besonderen graue Haare bekommen. Was da teilweise vom Presserat zu Recht gerügt wird, ist eine Schande für den Berufsstand der Journalistinnen und Journalisten. Trotzdem könnte man jetzt etwas böse sagen, der von mir sonst wirklich geschätzte Kollege Hans Leyendecker und sein Team haben an dieser Stelle den Rubikon überschritten: Sie haben auch nur die öffentliche Aufmerksamkeit des „Bild-Bashings“ genutzt, um ihre medienpolitischen Vorurteile zu propagieren. Ganz so recherchelos und frei von Journalismus war die durch den Nannen-Preis „ausgezeichnete“ Geschichte in der Bild ja nun nicht.
Die Jury des Henri-Nannen-Preises. Foto: Waberseck / stern
Zu NEWSROOM sagt Überall: "Man hätte den Preis auch annehmen und seine Kritik trotzdem formulieren und äußern können. Indem man sich des Boulevard-Stils der überfallartigen und damit auf den Show-Effekt und maximale öffentliche Aufmerksamkeit zielenden Ablehnung bemüht, stellt man sich mit denen, die man kritisiert, ein Stück weit auf eine Stufe. Ob das für die Sache – nämlich eine Debatte über Qualität und Seriosität von Journalismus anzustoßen - schlau ist?"
Überall lobt die Jury und fordert sie auf, weiterhin so mutige Entscheidungen treffen – damit über Qualität im Journalismus diskutiert wird! Das ist doch die positive Folge des Wirbels, den Alphamännchen der deutschen Medienszene da verursachen: Größere Kreise als nur Medienwissenschaftler und Fachdienste kümmern sich plötzlich um Fragen der Ethik, Kommerzialisierung und Professionalität im Journalismus."
Peter Stawowy (Chef bei stawowy media, früher Chefredakteur der Jugendzeitschrift Der Spiesser) kann gut verstehen, dass die Journalisten der Süddeutschen Zeitung nicht auf einer Stufe mit den Bild-Kollegen gesehen werden wollen, "gerade nicht bei der Geschichte um die Causa Wulff. Dafür widerspricht die gemeinsame Vorgeschichte von Wulff und Bild einfach zu sehr journalistischen Grundprinzipien. Andererseits ist die Wirkung des Mediums Bild in der ganzen Geschichte nicht zu leugnen und durchaus sehr bemerkenswert", erklärt er im NEWSROOM-Gespräch. Stawowy weiter: "Für den Journalismus in Deutschland ist es trotzdem gut, dass Leyendecker und Kollegen die Auszeichnung nicht angenommen haben. Es ist eben doch immer noch ein Unterschied zwischen seriösem Journalismus und dem noch viel zu oft von eigenen Interessen geleitetem Journalismus der Bild-Zeitung. Für die Bild-Kollegen sollte es ein Ansporn sein - noch seriöser zu werden und sich von bestimmten Methoden zu verabschieden."
"Als es zum Beispiel darum ging Christian Wulff zu diskreditieren, machte die Süddeutsche Zeitung mit der Bild gerne gemeinsame Sache", sagt Medienunternehmer und Evidero.de-Gründer Konstantin Neven DuMont zu NEWSROOM. "Wenn es darum geht Journalistenpreise einzuheimsen, sieht die Sache natürlich ganz anders aus. Hans Leyendecker sollte sich besser um investigative Reportagen kümmern. Damit würde er seinem Arbeitgeber am meisten dienen."
Benjamin Piel, Redakteur bei der Elbe-Jeetzel-Zeitung, meint, dass die "Bild-Recherche den Preis verdient, darüber besteht kein Zweifel. Das weiß auch Hans Leyendecker. Dass er sich trotzdem weigert, den Preis zusammen mit den Kollegen der Bild entgegenzunehmen, ist ein geschickter Schachzug", erklärt der preisgekrönte junge Journalist im Gespräch mit NEWSROOM. "Denn mit dem Ritterschlag der Auszeichnung versucht Bild, in die Liga der überregionalen Qualitätsmedien vorzustoßen und sich neben diesen als rechercheintensives Blatt zu platzieren. Dagegen muss sich die Süddeutsche im eigenen Interesse wehren. Hier geht um weitaus Grundsätzlicheres als um einen bloßen Preis. Die Auseinandersetzung ist ein journalismus-philosophisch-richtungsweisender Diskurs erster Güte. Bild und die Süddeutsche auf einer Bühne - und damit auf Augenhöhe? Für die Bild wäre das ein Hauptgewinn, für die SZ ein Desaster gewesen."
Christian Jakubetz. Foto: Heike Rost
Eine klare Position bezieht auch Sven Hansen, Asienredakteur bei der tageszeitung in Berlin: "Der ausgezeichnete Bild-Artikel mag für sich allein genommen den Henri verdient haben, doch passt der Preis nicht, wenn Bild zuvor etliche Texte über Herrn Wulff schrieb, die vor allem PR und weniger investigative Recherche waren. Darauf durch die Verweigerung der Annahme des Preises hinzuweisen wie auch, dass Jurys eben auch das Umfeld der Artikel berücksichtigen sollten, ist richtig. Auch die Jury hätte sich zu dem Widerspruch kritisch verhalten sollen, dass nach vielen platten Homestorys über Familie Wulff ganz plötzlich eine investigative Hausgeschichte publiziert wurde. Das mediale Umfeld mit einer Preisverleihung nicht zu thematisieren heißt in diesem Fall, nicht nur die Bild-Zeitung zu adeln, sondern auch ihre dunklen Seiten mit dem Glanz des Preises aufzuhellen. Auf diesen Tabubruch der Jurymehrheit haben Leyendecker und seine Kollegen zu Recht mit dem Tabubruch des Preisverweigerung reagiert."
Sven Hansen weiter: "Dabei gehört es zu den Schwierigkeiten im Umgang mit Bild, dass dieses Blatt mit seiner Macht und seinen Möglichkeiten natürlich nicht nur Texte bringt, für die man sich schämen muss, sondern gelegentlich auch solche, die eine aufklärerische Funktion haben, wenn sie denn zu den Interessen von Bild passen. Autoren einzelner Artikel sind nicht allein für die Linie oder Haltung des Mediums haftbar zu machen, in dem ihre Artikel erscheinen. Aber ganz davon frei zu sprechen sind sie auch nicht. Denn wenn sie damit nicht einverstanden sind, könnten sie woanders publizieren. Da die beiden ausgezeichneten Kollegen offenbar Bild-Redakteure sind, könnten sie sogar an der früheren Jubelberichterstattung über Wulff selbst beteiligt gewesen sein oder waren dies vielleicht in ähnlichen Fällen."
Leyendecker gebühre Dank, sagt der erfahrene Journalist: "Ich hätte es mir vielleicht nicht leisten können auf den Preis und damit so viel Geld zu verzichten. Das finde ich mutig, hat aber auch vielleicht damit zu tun, dass Leyendecker schon mehrfach - zu Recht - mit verschiedenen Preisen ausgezeichnet wurde. Deshalb fällt es ihm vielleicht leichter, auf einen weiteren zu verzichten und stattdessen den Eklat zu suchen und so die nötige Diskussion anzufachen", so Sven Hansen zu NEWSROOM.
Christian Jakubetz, Herausgeber vom Journalistenlehrbuch Universalcode, sagt zu NEWSROOM: "Darf man Journalisten einen Preis nicht verleihen, weil sie bei der falschen Zeitung sind? Die Argumentation, die die Kollegen der SZ vorgebracht haben, führt in diese Richtung. Was schade ist, weil Leyendecker und Freunde besser argumentiert hätten, warum das prämierte Bild-Stück aus ihrer Sicht nicht preiswürdig ist. Wenn sie bei dieser Frage zu einer anderen Auffassung kommen als die Jury (und dafür gäbe es einige gute Gründe), dann ist das ehrenwert. Wenn man sich dann dazu entschließt, aus diesem Grund den Preis nicht anzunehmen, dann ist das zumindest respektabel. So aber wirkt diese Geschichte jetzt so, als wollten sich honorige SZ-Journalisten schlichtweg nicht mit den Bild-Schmuddelkindern auf eine Bühne stellen. Und das Argument vom Kulturbruch? Würde in der Konsequenz bedeuten, dass eine ganze Reihe von Redaktionen per se ausgeschlossen sind. Also, von mir aus kann aus das "Goldene Blatt" einen Nannen-Preis bekommen, wenn es ein preiswürdiges Stück abgeliefert hat."
Gefragt seien jetzt allerdings die Preisstifter, so Christian Jakubetz zu NEWSROOM: "In sich gehen müsste wahrscheinlich der Preisgeber selbst. Zwei Jahre hintereinander Preisverleihungen mit merkwürdigen Nachgeschmack, das tut der Sache nicht gut."