Journalismus
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Christian Nürnberger: Den Oppositionellen in der Türkei hilft Böhmermann überhaupt nicht

Christian Nürnberger: Den Oppositionellen in der Türkei hilft Böhmermann überhaupt nicht Christian Nürnberger.

Eins verstehe ich nicht: Warum reden jetzt so viele Journalisten so ausdauernd und bewundernd über die Ego-Show Böhmermanns, während sie die Panama Papers, den Scoop der "Süddeutschen Zeitung", hochkonkurrenzig-kleinkariert kleinzureden versuchen? Ein Einwurf von Christian Nürnberger.

Die Veröffentlichung der Panama Papers hat weltweit Aufsehen erregt, Politiker gestürzt oder in Bedrängnis gebracht, und weltweit wird jetzt über die Legalisierung des Steuerbetrugs und die Blutgeldwäsche der Waffenhändler, Warlords, Diktatoren und Despoten diskutiert. Die Oasen der Betrüger und Mörderbanden werden dadurch nicht gleich verschwinden, aber es liegt an uns und den Journalisten, die Debatte am Leben zu halten und jeden Abgeordneten und Minister immer wieder zu fragen: Was tut ihr gegen die Tricks der Betrüger und Mörder? Wie weit ist euer Steueroasen-Austrocknungsprojekt gediehen? Warum kommt ihr so langsam voran?


Das ICIJ (International Consortium of Investigative Journalists), zu dem die "SZ" gehört, ist die einzig wirkliche zukunftsweisende Innovation des Journalismus, die es derzeit gibt, ein globalisiertes Teamwork, eine Zusammenarbeit von Whistleblowern mit Redaktionen. Erstmals in der Geschichte der Globalisierung können dadurch Journalisten den globalisierten Machteliten wieder auf Augenhöhe begegnen und ihnen auf die Finger klopfen.


Manche Kollegen kritisieren, dass dieser internationale Rechercheverbund von einigen reichen Leuten wie George Soros und angeblich anrüchigen Stiftungen gesponsert wird - was für eine Heuchelei!

 

Privatwirtschaftlich organisierter Journalismus ist schon immer gesponsert worden, in der Vergangenheit und noch heute von den Anzeigen der werbetreibenden Industrie. Und seit deren Bereitschaft, kritischen Journalismus zu sponsern, immer mehr nachlässt, kann man zusehen, wie in den notleidenden Redaktionen immer mehr Redakteure zu Werbeumfeld-Gestaltern mutieren.


Um diese Peinlichkeit zu übertünchen ruft man jetzt heroisch „Freiheit für Böhmermann“, um selber als total hip, tough, überlegen und saucool dazustehen.


„Man kann Erdogan mit guten Gründen kritisieren, auch mit den Mitteln der Satire“, hat Friederike Haupt gestern in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" geschrieben, „aber indem man ihn als Sodomisten bezeichnet, sagt man ausschließlich etwas über sich selbst. Man will der sein, der sich traut, sowas zu sagen. Man ist der Gute, der den Bösen beschimpft. Das ist Pubertät, nicht Humor und erst recht nicht Politik.“


So einfach ist es. Und all diese feuilletonistischen Meta-Diskussionen über die Meta-Meta-Meta-Ebene, auf die uns Böhmermann da angeblich gehievt hat, sind intellektuelles Geschwätz. Was Satire ist und darf, haben wir schon vorher gewusst. Über Erdogan waren wir auch ohne Böhmermann schon aufgeklärt. Der Aufklärungs- und Erkenntniswert der „Schmähkritik“ liegt nahe bei Null, und natürlich wird Böhmermann nicht in den Knast wandern und seine Sendung im ZDF weiterlaufen.


Was also bleibt, ist, dass Böhmermann es geschafft hat, die Kanzlerin in Verlegenheit zu bringen. Das war clever und hat seinen Marktwert um weitere 20 Prozent erhöht, aber die Presse- und Satire-Freiheit in Deutschland oder in der Türkei hat dadurch nicht zugenommen, den Oppositionellen in der Türkei hilft die Show nichts, und die Lösung des drängenden Flüchtlingsproblems ist nun noch schwieriger geworden als es immer schon war.

 

Christian Nürnberger