Jobs
Newsroom

Berufung statt Burnout: Warum immer mehr Medienprofis neue Wege gehen

Berufung statt Burnout: Warum immer mehr Medienprofis neue Wege gehen Attila Albert

Immer mehr Medienprofis kehren ihrer bisherigen Laufbahn den Rücken, um ihre wahre Berufung zu finden. Coach Attila Albert zeigt, warum dieser Schritt sinnvoll sein kann, welche Hürden es gibt und wie der Wandel gelingen kann.

Berlin – Kürzlich dachte ich wieder einmal an eine geschätzte ehemalige Kollegin, mit der ich vor Ewigkeiten in der Redaktion von "Bild" Berlin zusammengearbeitet hatte. Was wohl aus ihr geworden war? Eine Google-Suche zeigte mir: Sie hatte nach vielen Jahren in der Lokalredaktion berufsbegleitend Theologie studiert und arbeitet heute als Pfarrerin. Ihr Weg, so ungewöhnlich er ist, überraschte mich jedoch nicht: Er passte zu ihr, wie ich sie seinerzeit kennengelernt hatte, war schlüssig. Sie hat erkennbar ihre Berufung gefunden.

 

Viele Medienprofis wünschen sich Ähnliches: Eine berufliche Tätigkeit, die mehr als vor allem Erwerbsarbeit ist, die ihrem Leben einen übergreifenden Sinn gibt und sie auf tiefere Weise erfüllt. Jeder stellt sich darunter etwas anders vor, aber meist geht es um eine dieser drei Richtungen: sich stärker selbst ausdrücken können (kreativer oder künstlerischer Beruf), anderen helfen (sozialer, beratender oder lehrender Beruf) oder ein größeres Anliegen fördern (karitativer, gesellschaftlicher oder politischer Bereich).

 

Seinen inneren Überzeugungen folgen
Als Karrierecoach für Medienprofis habe ich viele solche Berufswechsel begleitet. Die Ressortleiterin eines Newsportals eröffnete danach mit ihrem Mann eine Kunstakademie, die Malen, Zeichnen und kreatives Schreiben unterrichtet. Die Presseverantwortliche eines Buchverlags machte sich als Kinderbetreuerin (Nanny) selbstständig. Ein Redakteur wurde Mediator, schlichtet also beruflich Konfliktfälle. Eine frühere Reporterin und PR-Expertin bietet nun Achtsamkeitskurse in Kroatien an, eine andere ist heute Yogalehrerin. Eine bisherige Redakteurin studiert gerade Medizin, um Hausärztin auf dem Land zu werden.

 

Seine Berufung zu finden und ihr nachzugehen, bedeutet, einem inneren Impuls und seinen Überzeugungen zu folgen. Oft spüren die Betreffenden bereits seit Langem, „wohin es sie zieht‟, auch wenn sie die Details noch für sich klären müssen (z. B. mit Hilfe eines Mentors oder Coaches). Der Wechsel in einen neuen Beruf ist auch oberhalb der 40 noch realistisch, insbesondere seit sich das gesetzliche Rentenalter immer weiter nach hinten verschiebt, man also sowieso länger arbeiten muss. Immer geklärt werden muss, welche Umschulung bzw. Weiterbildung eventuell nötig wäre, ob sich der Aufwand lohnt oder eine einfachere Alternative denkbar wäre (z. B. Heilpraktiker statt Medizinstudium).

 

Häufig gilt es dabei, eine gewisse Romantisierung bestimmter Berufe abzulegen. Beispiel: Eine Sozialarbeiterin kann tatsächlich Bedürftigen ganz praktisch helfen, muss aber auch mit widerwilligen, undankbaren Klienten umgehen können und viele bürokratische Aufgaben erledigen. Ein Ehrenamt, ein Praktikum oder eine Hospitanz (z. B. während eines Urlaubs oder Sabbaticals) kann zu einem realistischeren Blick verhelfen. Bei der Bereitschaft dazu zeigt sich bereits, wie ernst der Wunsch nach einem Wechsel ist.

 

Gehaltsverzicht muss nicht sein
Muss man für seine Berufung finanzielle Abstriche machen? Nicht zwingend, das hängt ganz vom angestrebten neuen Beruf ab. Gegenüber der bisherigen Medientätigkeit kann man sich finanziell verbessern, verschlechtern oder kaum einen Unterschied spüren. Der Leiter einer Unterhaltungsredaktion, den ich beispielsweise bei seinem Wechsel begleiten durfte, machte sich mit einem Gartenblog selbstständig, über den er (gegen Provision) auch Gartenprodukte und eigene Bücher verkauft. Er wechselte damit vom Angestelltendasein zum Unternehmertum, muss also generell anders kalkulieren.

 

Eine Berufung ist in diesem Kontext weiterhin eine Form der Berufstätigkeit, also – neben der Freude an der Aufgabe und der empfundenen Sinnhaftigkeit – auf ein ausreichend hohes Einkommen ausgerichtet. Gerade, wer sich dazu berufen fühlt, anderen zu helfen, muss klar trennen: Beruf (bezahlt) und Ehrenamt (unbezahlt) können sich überschneiden oder ergänzen, sind aber verschiedene Bereiche. Beispiel: Wer als Lebensberater und Dozent arbeiten möchte, muss sich zuerst auf bezahlte Beratungen, Workshops und Vorträge für seine Kunden konzentrieren. Daneben kann er einige Stunden pro Monat gratis oder stark preisreduziert arbeiten. Das sind dann jedoch Spenden.

 

Nicht auf das beschränken, was man selbst will
Eine Berufung darf sich also nicht allein auf das beschränken, was man selbst möchte und wichtig findet. Es muss dafür auch einen ausreichend großen Bedarf im Arbeits- bzw. Dienstleistungsmarkt sowie zahlungsfähige und -willige Abnehmer geben. Sie finden sich vor allem in den unzähligen Tendenzbetrieben. Beispiele dafür sind: Parteien, Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften, Kirchen, Stiftungen, Interessenverbände aller Art (inklusive Lobby-Organisationen und NGO) sowie deren Betriebe wie Bildungs- und Begegnungsstätten, soziale Einrichtungen, Forschungsinstitute und Verlage.

 

Seine Berufung kann man selbstverständlich aber auch innerhalb der Medienbranche finden, eventuell nach einem internen oder externen Wechsel. Wer andere Menschen unterstützen oder beraten möchte, kann dafür bestehende redaktionelle Formate nutzen oder neue vorschlagen – oder in angrenzende Bereiche gehen (z. B. interne Workshops geben, Ausbilder werden, sich im Betriebsrat oder in Interessengruppen engagieren). Der Anfang ist oft unspektakulär und lässt sich innerhalb des bestehenden Arbeitsverhältnisses umsetzen, gibt dem eigenen Berufsleben aber plötzlich eine ganz neue Richtung.

 

Zur vergangenen Kolumne: Berufliche Perspektiven

 

Zum Autor: Attila Albert (geb. 1972) begleitet Medienprofis bei beruflichen Veränderungen. Er hat mehr als 25 Jahre journalistisch gearbeitet, u.a. bei der Freien Presse, bei Axel Springer und Ringier. Begleitend studierte er BWL, Webentwicklung und absolvierte eine Coaching-Ausbildung in den USA.

www.media-dynamics.org