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Martin Heller: Nach der Entlassungswelle beginnt der Kampf um die besten Köpfe

„In der Medienkrise hilft vor allem eines: Bildung. Denn nach der größten Entlassungswelle seit 1949 kommt der Kampf um die besten Köpfe“, erklärt Martin Heller, Leiter Crossmedia der Axel Springer Akademie, in einem exklusiven Debatten-Beitrag für NEWSROOM.

Berlin - Es ist ein abgewetztes altes Tablett, mit dem mein Vater (72) den Tisch deckt. Doch wir lieben es. Darauf abgebildet: die Titelseite der FAZ. „Juni 1985“ kann man als Erscheinungsdatum der Vorlage noch entziffern, der Tag ist nicht mehr zu erkennen.

Im Aufmacher geht es um Äußerungen von Bundeskanzler Kohl zum Weltfrieden. Der Text darunter handelt von der Flugzeugentführung in Beirut. „Weiter Unklarheit“, heißt es da. Eine On-going-Story, wie geschaffen für einen Liveticker. Doch damals gab es in den Medienhäusern nur Tablette, keine Tablets. Mit einem Alter von 27 Jahren ist die Treueprämie sogar eher ein jüngeres Andenken an das FAZ-Leben meines Vaters. Seit 1959 liest er täglich seine Zeitung. Die Marke wird er nicht im Stich lassen. Bis zum Lebensende.

Die „Userbindung“ funktioniert hier und sie ist durch überhaupt nichts bedroht. Der Computer steht in einer dunklen Ecke, darauf unzählige Briefe und Notizen, daneben alte Zeitungen. Kein Tablet im Haushalt. Die Zeitung lebt also. Oder besser: die Marke. Natürlich: Die Rahmenbedingungen waren andere damals. Vor allem in einem ganz wesentlichen Punkt. Es gab nur den Kampf der Zeitungsmarken um die Gunst der Zeitungsleser. Heute gibt es vor allem einen Kampf um die Zeit.

Die Zeit ist das wichtigste Gut, dass die Leser, Zuschauer, Hörer, User heute besitzen. Und darum kämpfen wesentlich mehr Player in der Informationsbranche, egal ob werbefinanziert oder mit Bezahlmodell.

Die gedruckte Zeitung konkurriert mit der im Netz, mit Radio und Fernsehen, Büchern, Fachmagazinen, und alle konkurrieren mit Suchmaschinen, Videoplattformen und Social-Media-Anwendungen der unterschiedlichsten Art.

 

Martin Heller erklärt: „In der Medienkrise hilft vor allem eines: Bildung."

 

Zwar vergrößert sich möglicherweise das Zeitbudget, da wir in der S-Bahn, im Wartezimmer, in Konferenzen heimlich unter dem Tisch, auf unseren Mobilgeräten herumtippen.

Doch viel stärker als die Nachfrage wächst das Angebot. Zwangsläufig macht das erst einmal den Markt kaputt.

Die Herausforderung, die daraus entsteht? Da kommen wir zurück zu meinem Vater und der erfolgreichen Markenbindung. Es müssen starke Geschichten, glaubwürdige Informationen, herausragende journalistische Leistungen gewesen sein, die ihn damals als 19-Jährigen überzeugten und immer weiter überzeugt haben.

Das Rezept gilt heute mehr denn je. Und für diese Zutaten sind Bezahlmodell, Trägermedium oder Erscheinungsweise zwar wegweisend. Aber nicht ausschlaggebend. Es sind zuallererst: die Journalisten.

Was muss also die Konsequenz sein? Die Antwort kann nur sein: Gerade in der Krise ganz bewusst in Journalisten zu investieren. Bei der Neuordnung von Marken und Marktanteilen ist der Kampf um die besten Köpfe das Gebot der Stunde. Herausragende Journalisten sind wichtig, egal ob beim Wettbewerb der General-oder Special-Interest-Angebote.

Ausgerechnet während der größten Entlassungswelle seit 1949 Journalist werden? Das kann man als Risiko bezeichnen, als töricht. Doch es geht heute eben nicht darum, irgendein Journalist zu werden.

Ich kenne viele Nachwuchsjournalisten, die - teils noch in der Ausbildung, teils frisch in den Redaktionen - sich überhaupt keine Sorgen um ihre berufliche Zukunft machen müssen.

Da werden mit Datentools Infografiken erstellt, junge Redakteure können programmieren, fotografieren, Bild und Ton aufnehmen, schneiden. Und – denn alles ist nichts wert ohne ein starkes Fundament: Sie können Geschichten erzählen, Nachrichten einordnen, Meinung bilden, mit Bildern arbeiten, ob auf Papier oder digital.

 

Martin Heller, 35, ist Leiter Crossmedia der Axel Springer Akademie in Berlin. Er arbeitet seit 1998 als Journalist. Nach Stationen bei RTL und SPIEGEL TV baute er bei SPIEGEL ONLINE das Reporterteam im Bewegtbildbereich auf, als CvD leitete er dort das Multimedia-Team in Berlin. Seit Oktober 2012 verantwortet er die digitale Ausbildung an der Axel Springer Akademie, der Journalistenschule der Axel Springer AG. Er twittert unter dem Namen @Ma_Heller.

 

Der Bereich Bewegtbild ist dabei ein zentrales Thema. Auch wenn die Medienkrise sicher auch den TV-Bereich noch viel stärker treffen wird: Im Netz ist noch ganz viel Platz für journalistische Bewegtbild-Kompetenz. Im digitalen Raum gehört eben viel mehr zum Berufsbild des Videojournalisten als es über Jahrzehnte im Fernsehen für Redakteure nötig war.

Ich kenne viele Videojournalisten, die drehen professionell mit semiprofessionellen Kameras und Spiegelreflexapparaten, die schneiden, texten, vertonen, publizieren – und zwar in guter journalistischer Qualität. Und sie können sich vor Anfragen kaum retten.

Ausbildung also als Antwort auf die Krise? Nein, mehr: Bildung. Investition in das Bessere. Und da ist Fortbildung mindestens genauso wichtig!

Natürlich meine ich damit das Am-Ball-Bleiben im digitalen Medienwandel: Twittern, Datenjournalismus, Bewegtbild und vieles mehr. Doch auch ganz klassische Bereiche gehören dazu. Recherche zum Beispiel, die findet heute schließlich mit ganz anderen Möglichkeiten statt. In den Verlagen und Sendern müssen wir ein Bewusstsein schärfen, dass Fortbildung kein bisschen mit Mängeln oder Lücken in der bisherigen Entwicklung zu tun hat.

Arbeitsleben-langes Lernen - das ist nichts Neues. Doch heute, in einem angespannten Arbeitsmarkt für Journalisten, ist es wichtiger als jemals zuvor.

Ich bin 35 Jahre alt, acht Jahre älter als das Tablett meines Vaters. Es ist meine dritte Medienkrise, zweifelsohne die heftigste. Der Weg vom Tablett zum Tablet war spannend und gleichzeitig von Unsicherheit und Zweifeln begleitet. Aber er war und ist der richtige.

Martin Heller

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