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Journalistische Weiterbildung: Die Lust an der Kontrolle

Kann man journalistische Weiterbildung zertifizieren? Vielleicht, aber der Versuch macht mehr kaputt, als dass er nützt, schreibt der erfahrene Dozent Christian Sauer in einem Debattenbeitrag für Newsroom.de.

Hamburg - Journalisten, die sich weiterbilden wollen, leben gefährlich.

Oft haben sie nicht mehr als eine knackige Überschrift, einen Werbetext und eine Kurzvorstellung des Dozenten  vor Augen, wenn sie ihre Entscheidung über eine Seminarteilnahme treffen. Veranstalter, Ort, Zeit und Preis – das alles gibt wichtige Hinweise auf die Qualität des Angebots, reicht aber nicht, um vorauszusagen, ob sich der Einsatz an Zeit und Geld lohnt.

Kommen nicht noch persönliche Empfehlungen oder Referenzen hinzu, bleibt der Ausgang des Seminarabenteuers offen.

 

Christian Sauer, promovierter Erziehungswissenschaftler, war bis 2005 stellvertretender Chefredakteur bei "Chrismon". Er arbeitet seit 1998 als Dozent zu den Schwerpunkten Redaktionsleitung, Kreativität und Textqualität.

 

Glücklich, wer nur eine Schulung zu einem bestimmten Redaktionssystem braucht oder eine Einführung in den Videoschnitt: Da lässt sich der Bedarf recht genau benennen. Aber schon bei einem simplen Schreibtraining – Reportage, Feature, Texten fürs Web – stellt sich die Frage: Was genau wird der Dozent vermitteln?

Diese Schwierigkeiten potenzieren sich, wenn es um komplexe Themen wie Recherchesystematik oder die Führung von Redaktionsteams geht.

Deshalb ist es verständlich, wenn einige in der Medienbranche über Abhilfe nachdenken.

Von Zertifizierungen ist dann die Rede, von Qualitätsgarantien und einem Weiterbildungssiegel. Mir scheint das allerdings ein untauglicher Weg zu sein, Weiterbildungsseminare für Journalisten zu verbessern.

Die Befürworter suggerieren eine Kontrolle über die Weiterbildungspraxis, die so nicht herstellbar ist. Sie differenzieren nicht zwischen jenen Teilbereichen, wo Zertifizierung nützlich sein kann, und jenen, wo sie mehr Schaden anrichten würde.

Wie viel Standardisierung ist möglich und sinnvoll?

Nicht der Versuch einer Standardisierung an sich ist das Problem.

Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) und andere haben sich einst vorbildlich dafür eingesetzt, die Volontärsausbildung stärker zu systematisieren. Das hat Generationen von Volos Mindeststandards in der Verlagsausbildung gesichert. Auch der Versuch, Weiterbildungsqualität zu prüfen, ist legitim und an vielen Stellen sinnvoll.

So sind Feedbackbögen am Seminarende heute selbstverständlich, und die Methoden werden dabei immer ausgefeilter. Ebenso haben manche Weiterbildungsanbieter gute Verfahren entwickelt, wie sie ihre Dozenten während der Vorbereitung und im Seminarverlauf coachen können. Ich als Dozent habe davon oft profitiert.

Eine andere Frage ist es allerdings, ob man Weiterbildungsqualität insgesamt standardisieren kann und ob man sie durch Zertifizierungsverfahren prüfen sollte. In Bayern macht sich der öffentlich geförderte Medien-Campus Bayern e.V. genau dafür stark. Er warnt lautstark vor „schwarzen Schafen“, will „die Spreu vom Weizen“ trennen und den „Top-Akademien“ endlich die verdiente Aufmerksamkeit verschaffen.

Dazu hat der Verein ein „Qualitätssiegel“ entwickelt, das nach einer Art Audit vergeben wird.

Das Verfahren gefällt dem DJV so gut, dass er es in seinem „Memorandum zur Journalistischen Aus- und Weiterbildung 2012“ zur Nachahmung empfiehlt: „Curriculare Planungen und Entscheidungen müssen auf Basis anerkannter Qualitätsstandards im Miteinander von Wissenschaft und Praxis getroffen werden“, heißt es da.

Andere Bundesländer sollten Institutionen nach dem Vorbild des Medien-Campus schaffen, die für „Transparenz, Kooperation und Koordination“ der Weiterbildungsträger sorgen.

Nun warten Journalistenschulen und Medien-Akademien in Berlin oder Hessen nicht gerade darauf, ihren eigenen Medien-Campus zu bekommen.

Nicht jeder, der den Journalismus besser machen möchte, wünscht sich dafür jene Nähe zur Politik, für die der Medien-Campus Bayern steht.

Die Branche ist eben vielgestaltig und registriert erstaunt, wie vollmundig die Bayern ihr Modell anpreisen, wie entschieden der DJV dies als Vorbild propagiert. 

Passt Zertifizierung für journalistische Fachseminare?

Grundsätzlich kann eine Zertifizierung für die Ausbildung von Journalisten sinnvoll sein. Es schadet ja nichts, wenn jemand gelegentlich bei den Verlagen und Medienhäusern anklingelt und sich die Volontärsausbildung erläutern lässt.

Auch die überbetriebliche Ausbildung in Volontärskursen kann man sinnvoll überprüfen, denn hier gibt es immerhin Curricula, mit denen die Anbieter ihre Schwerpunkte setzen. Zugleich aber kommt eine Zertifizierung bei den Volontärskursen an ihre Grenzen.

So gibt es weder in der Medien-Weiterbildung noch in der Wissenschaft einen Konsens darüber, wie das Verhältnis von Multimedia-Ausbildung und Schlüsselqualifikationen auszusehen hat. Kein externer Prüfer sollte einem Weiterbildungsträger diktieren können, was richtige und was falsche Volontärsausbildung ist.

Die Vielfalt der Angebote würde leiden.

Vollends problematisch wird es, will man Zertifizierungsverfahren eins zu eins auf ganz normale journalistische Weiterbildung übertragen, also auf Fachseminare an Weiterbildungsakademien oder auf Inhouse-Seminare in den Verlagshäusern und Rundfunkanstalten.

In der Weiterbildung für berufliche Fortgeschrittene geht es ja um weit mehr als das Erlernen bestimmter Fertigkeiten und Kenntnisse, es geht tatsächlich um Bildung. Im Idealfall lernt der Teilnehmer etwas für seine berufliche Praxis; zugleich aber lernt er, Probleme, die erst nach dem Seminar auftauchen, selbständig zu lösen. Es ist diese „Lernfähigkeit höheren Grades“ (so hat der Journalistenausbilder Anton Austermann es einmal genannt), auf die es für Medienprofis ankommt, gerade in Zeiten des digitalen Umbruchs.

Solche Weiter-Bildung lässt sich nicht in Curricula festschreiben und nicht durch Zertifizierungen sichern.

Die Wahrheit über Erfolg oder Misserfolg eines Seminars hängt ganz wesentlich davon ab, was im Verlauf des Seminars geschieht, also von der Interaktion zwischen Anbieter, Dozent und Teilnehmern. – Folgende Situation mit einer so genannten „schwierigen Teilnehmerin“ macht das deutlich: Sie beschwert sich mitten im Seminar vehement, dass ihr „das alles“ nichts bringt, weil es völlig an ihrem Redaktionsalltag vorbeigehe.

Aus meiner Sicht bedeutet Weiterbildungsqualität, jetzt nachzufragen, was diese Teilnehmerin so unzufrieden macht.

Ich würde mir ihr Wege suchen, wie sie mehr von dem bekommen könnte, was sie möchte. Parallel müsste ich als Trainer überlegen, ob ihr Anspruch wirklich von den vereinbarten Seminarthemen und -zielen gedeckt ist. Ich müsste die Gruppe einbeziehen.

Und obendrein müsste ich meine Sorge niederhalten, etwas Wichtiges falsch gemacht zu haben. Das ganze dauert vielleicht nur eine Minute, ist aber eine Schlüsselstelle für ein gutes Seminar.

Wie sollte eine Zertifizierung mich darauf einstellen, in dieser Minute die richtige Mischung aus Empathie und Besonnenheit aufzubringen?

 

Unser Gastautor: Dr. Christian Sauer ist Journalist, Coach und Redaktionstrainer in Hamburg. Er arbeitet seit 1998 als Dozent zu den Schwerpunkten Redaktionsleitung, Kreativität und Textqualität. Er coacht Medienmenschen vom freien Journalisten bis zum Chefredakteur. Zuvor arbeitete der gelernte Tageszeitungsjournalist 16 Jahre als Reporter, Redakteur und Redaktionsleiter, zuletzt bis 2005 als stellvertretender Chefredakteur des Magazins "chrismon". Er ist Autor der Profiratgeber „Souverän schreiben: Klassetexte ohne Stress“ (2007) und „Qualitätsmanagement in Redaktionen“ (2010) und hat über ein Weiterbildungsthema promoviert. Info: www.christian-sauer.net

 

Der zentrale Faktor: gute Kommunikation zwischen Anbieter und Dozent

Es geht eben nicht um Standard-Fragebögen und Zertifizierungsgespräche, sondern um gute Kommunikation, besonders um die zwischen dem Seminarveranstalter und dem Dozenten. Der Veranstalter muss sich von der Qualität seiner Dozenten überzeugen. Er kann im Seminar problemlos dabei sein und hinterher eine detaillierte Auswertung vornehmen. Die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Anbieter und Dozent ist der zentrale Erfolgsfaktor.

Hingegen schadet der Versuch, Weiterbildungen an abstrakten Standards zu messen, genau dieser Vertrauensbeziehung. So war ich erstaunt und irritiert, als ich kürzlich eine Checkliste von einer großen Weiterbildungsinstitution zugeschickt bekam.

Darin forderte man mich auf, im Seminar verschiedene didaktische Methoden anzuwenden und auf die redaktionelle Situation der Teilnehmer einzugehen.

Beides ist selbstredend das A und O von journalistischen Fachseminaren!

Es folgten noch drei Seiten mit gut gemeinten – teils banalen, teils fragwürdigen – Tipps, die einem erfahrenen Dozenten das Gefühl vermitteln mussten, dass diese Akademie vor allem eines wollte: nicht über ein konkretes Seminar und konkrete didaktische Situationen mit ihm reden.

Der gesamte Fragebogen, im Stil einer Packliste gehalten, schien mir Ausdruck eines tiefgehenden Misstrauens des Akademie-Teams gegen „die Dozenten“ zu sein. Er war übrigens das Ergebnis eines Zertifizierungsverfahrens.

Zertifizierungen suggerieren Kontrolle und bauen Druck auf

Noch einmal: Ja, ein Veranstalter kann und soll seine Dozenten auf Herz und Nieren prüfen.

Ein Probeteaching könnte sinnvoll sei, ebenso Train-the-Trainer-Seminare. Aber das alles erfordert direkten Kontakt und offene Auseinandersetzung, und die kann kein Fragebogen der Welt ersetzen. Zertifizierungen erfassen gelebte Seminarpraxis nicht. Sie tragen weit mehr zur Zufriedenheit der Zertifizierer und der Weiterbildungsanbieter bei als zum Lernerfolg der Teilnehmer. Obendrein dient Zertifizierung als Zwangsberatung letztlich dazu, Druck auf jene Anbieter aufzubauen, die das Siegel noch nicht haben. Sie entzieht so der praktischen Weiterbildungsarbeit Zeit und Aufmerksamkeit.

Vielleicht sollte man, bevor man leichtfüßig Gütesiegel fordert, noch einmal fragen: Gibt es eigentlich Klagen über ein niedriges Niveau des journalistischen Weiterbildung? Hört man Berichte von krassen methodischen Fehlern der Dozenten? Werben Anbieter mit übertriebenen Versprechen? Meines Wissens muss die Antwort jeweils lauten: nein.

Wer trotzdem für Gütesiegel wirbt, sollte sich vielleicht dieser Frage stellen: Wer zertifiziert eigentlich die Zertifizierer?

Christian Sauer

Ihre Meinung interessiert uns. Was halten Sie von Zertifizierungen für Weiterbildungen im Mediensektor? Was macht ein gutes Seminar aus? Wie kann die Spreu vom Weizen getrennt werden? Schreiben Sie uns an redaktion@newsroom.de.

Newsroom.de-Korrektur: In einer ersten Version stand, dass der Medien-Campus Bayern als GmbH organsiert sei. Dies ist nicht korrekt. Der Medien-Campus Bayern ist ein Verein. B.Ü., 27.01.2014, 13.30 Uhr

 

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