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„Spiegel“-Wirtschaftschef: Wir können jetzt zeigen, dass wir den Job richtig machen

„Spiegel“-Wirtschaftschef: Wir können jetzt zeigen, dass wir den Job richtig machen Cover der „Wirtschaftsjournalist“-Ausgabe 2/20

„Viele Menschen merken gerade, was sie am Journalismus haben, was es bedeutet, wenn Quellen und Fakten überprüft werden“, sagt Markus Brauck. In welcher Rolle er Wirtschaftsjournalisten jetzt sieht und warum ihm vor der Zukunft nicht bange ist.

Berlin – „Viele Menschen merken gerade, was sie am Journalismus haben, was es bedeutet, wenn Quellen und Fakten überprüft werden“, sagt der „Spiegel“-Wirtschaftschef im Interview mit dem „Wirtschaftsjournalist“

 

Welche Rolle sollen wir Wirtschaftsjournalisten jetzt spielen? Die der Gesundbeter, der Claqueure am Seitenrand oder die der Mahner und Kritiker?
Markus Brauck: Wir müssen die richtigen Fragen stellen, aber zum richtigen Zeitpunkt. Es ist immer fatal, mitten in einer Krise die Grundsatzfragen zu stellen. Da muss die Politik erst einmal reagieren. Aber es ist jetzt schon absehbar, dass die Krise alle Fragen, die wir als Journalisten und auch als Gesellschaft vorher schon hatten, mit neuer Dringlichkeit stellt. Die Fragen der Digitalisierung, des Zusammenhalts von Europa, von Arm und Reich, des sozialen Ungleichgewichts. Das alles schlägt jetzt in der Krise massiv zurück. Aber es sind die gleichen Fragen wie vor der Krise.

Welchen Fehler dürfen Wirtschaftsjournalisten in dieser Krise auf gar keinen Fall machen?
In der Flüchtlingskrise 2015 gab es ein großes humanitäres Ziel, mehr noch ein Versprechen, das alle geteilt haben. Dann wurde uns Medien später vorgeworfen, ich glaube auch zu Recht, zu spät die kritischen Fragen gestellt zu haben. Diesen Fehler dürfen wir nicht wiederholen. Und den werden wir auch nicht wiederholen. So sieht es für mich zumindest im Augenblick aus. Im Journalismus, auch im Wirtschaftsjournalismus, kommt es jetzt darauf an, dass wir die großen humanitären Ziele teilen, aber darüber nicht vergessen, die kritischen Fragen zu stellen.

Als die da wären?
Zum Beispiel, welche Strategie verfolgt wird und was sie kostet. Und dass wir genau hinschauen und fragen: Wer zahlt diesen Preis? Wer wird am Ende ökonomisch dafür bezahlen? Wer bezahlt gesundheitlich? Wer politisch? Und genau das zu beschreiben. Man muss das nicht gleich skandalisieren. Wir müssen versuchen, die Realität in möglichst vielen Facetten so zu beschreiben, wie sie ist. Nicht alle Dilemmata lassen sich auflösen. Das ist der entscheidende Punkt.

Die Frage ist doch, was man dem einzelnen Bürger und der Wirtschaft zumuten kann.
Genau, denn am Ende wird es entscheidend sein, dass wir diese Risiken beschreiben. Wir müssen zeigen, warum es wichtig ist, dass der Staat jetzt diese enorme Rolle hat und dass sie gut und richtig ist, aber dass sie begrenzt sein muss. Der Staat darf Fehler machen, aber darf nicht grundsätzlich enttäuschen. Er muss die ökonomischen Versprechungen halten, und er muss die Macht, die er sich jetzt nimmt, und die Freiheit, die er einschränkt, so bald wie möglich komplett den Bürgern zurückgeben. Dass sich die Bürger darauf verlassen können, dass sie weiter in einem freiheitlichen Rechtsstaat leben werden. In einem Punkt kann uns die Ohnmachtserfahrung der Pandemie auch klüger machen. Das Virus hat uns gezeigt, wie machtlos die komplette Menschheit der Natur ausgeliefert sein kann. Das sollte uns motivieren, die Klimakrise ernster zu nehmen.

Wenn die Krise in ein paar Monaten oder – wer weiß? – vielleicht auch erst in ein oder zwei Jahren vorbei sein wird, werden wir dann auch einen anderen Journalismus haben?
Viele Menschen merken gerade, was sie am Journalismus haben, was es bedeutet, wenn Quellen und Fakten überprüft werden. Wenn sich Leute über ein Thema beugen, die Ahnung haben und nicht irgendwelche Gerüchte verbreiten. Gerade jetzt ist es für jeden entscheidend, ja, lebenswichtig, exakt zu wissen, was vor sich geht. Das gilt für Fragen der Gesundheit ebenso wie für die wirtschaftliche Lage. Die Menschen schenken dem Journalismus gerade ihr Vertrauen, weil er es schafft, eine Beschreibung der Situation zu liefern, die verlässlich ist. Und zugleich schafft der Journalismus in einer Zeit, in der die Kommunikation unter den Einzelnen dermaßen eingeschränkt ist, viel mehr Verbindendes als sonst. Er ersetzt ein wenig von dem, was sonst als Gespräch zwischen den Menschen stattfindet.

Ihnen ist also nicht bange?
Nein, denn ich denke, wir können inhaltlich gestärkt aus dieser Krise hervorgehen, vorausgesetzt, wir machen den Job weiter so, wie wir ihn machen. Es gibt gerade wenig Panikmache, wenig Skandalisierung, wo sie nicht hingehört. Es gibt viel verantwortungsvolles, aber nicht blindes Diskutieren von dem, was gerade passiert. Man sieht diese Wertschätzung des Publikums in den überall gestiegenen digitalen Reichweiten. Es scheint so zu sein, dass sich nun viele Menschen auch digital an Marken binden und sich entscheiden, wem sie vertrauen. Das ist das Fundament, um künftige digitale Abonnenten und Leser zu gewinnen. Wir können jetzt zeigen, dass wir den Job richtig machen. Also sollten wir es einfach tun.

Tipp: Das Interview mit Markus Brauck über Ethik und Moral in Zeiten der Seuche ist im aktuellen „Wirtschaftsjournalist“ zu finden.


Der „Wirtschaftsjournalist“ erscheint wie newsroom.de im Medienfachverlag Oberauer.