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Christian Lindner: Warum Nervensägen in Redaktionen wichtig sind

Christian Lindner: Warum Nervensägen in Redaktionen wichtig sind Christian Lindner

„Nicht jeder gute Journalist muss auch ein guter Teamplayer sein“, sagt Christian Lindner in seiner neuen Kolumne in „kress pro“. Zwei Gründe sprechen dafür, als guter Chef Mitarbeiter, die einen nerven, nicht nur zu ertragen, sondern zu schätzen.

Mediencoach Christian Lindner schreibt in seiner Kolumne,

… wie viele Typen von Mitarbeitern kennen Sie? Wenn Sie auf diese Frage professionell als Führungskraft antworten, werden Sie das differenziert formulieren, etwa so: „Meine Mitarbeiter sind so unterschiedlich wie die Musiker eines Philharmonie-Orchesters, und gerade das macht den Wert unseres Teams aus.“

 

Wenn Sie als Mensch antworten, könnte Ihre Antwort einfacher ausfallen: „Es gibt Mitarbeiter, die ich mag – und welche, die mich nerven.“

 

Öffentlich würden Sie das nie sagen, und im Normalmodus werden Sie diese Schwarz-Weiß-Sicht auf Ihre Leute weise unterdrücken. Weil Sie Führungskraft sind, beruht sie auch nicht banal auf Sympathie und Antipathie. Ihr Medienhaus ist ja kein Elternabend, und Ihr Managen kein Tindern.

 

Die Mitarbeiter, die Ihnen liegen, sind fachlich wie menschlich gut: Sie beherrschen ihren Job, sind teamfähig, übernehmen klaglos auch andere Aufgaben. Oft sind sie das personifizierte Dur, Stimmungsaufheller, Begeisterte und Begeisterer. Sie ziehen mit, probieren gerne Neues aus, vermählen Ihre Ideen mit der Wirklichkeit. Kurzum: Sie geben Ihnen generell ein gutes Gefühl. 

 

Ganz anders sind die Mitarbeiter, die Ihnen auf die Nerven gehen. Leute, die stets skeptisch oder gar gegen alles sind. Die mit dem Team wenig bis nichts am Hut haben. Die lieber ihr eigenes Ding machen. Die vermitteln, dass sie wenig Freude am Leben und an der Arbeit sowieso kaum Spaß haben. Die den Pessimismus oder gar Zynismus lieben. Die treffsicher den Schwachpunkt Ihrer Projekte finden und nie für sich behalten. Die Probleme gerne scharfsinnig und scharfzüngig benennen – ohne je zu merken, dass sie eher Teil dieses Problems als Teil seiner Lösung sind. 

Nein, diese Moll-Fraktion vermittelt Ihnen auch kein gutes Gefühl. Und doch spricht vieles dafür, als guter Chef Mitarbeiter, die einen nerven, nicht nur zu ertragen, sondern zu schätzen, ja als Typus ausdrücklich auch in der Mannschaft haben zu wollen. 

 

Zwei Gründe sprechen dafür – ein externer und ein interner. Der externe Grund: Im Zentrum des Wirkens von Medienhäusern dürfen nicht innere Kriterien, Befindlichkeiten und Abläufe stehen, sondern Veröffentlichungen. Für Ihren Markt spielt es keine Rolle, ob der Autor eines Textes ein talentierter Teamplayer mit großem Rückhalt in der Redaktion oder ein ewiger Grantler am Rande des Teams ist. Die Qualität einer Publikation ist für den Markt relevant, sonst nichts. Ein Redaktionsmanager, der sich dessen bewusst ist, wird, nein muss seine Favoriten ebenso wie seine Nervensägen anders sehen. 

 

Es gibt Darlings des Newsrooms, die für das gute Klima in der Redaktion unerlässlich sind, aber noch nie für den „Talk of Town“ im Blatt gesorgt haben. Und es gibt spröde Einzelgänger, die bei den Konferenzen oder Abstimmungsprozessen am Desk eher stören, mit ihrer Expertise, ihren Recherchen und ihrer Schreibe Blatt und Website aber verlässlich bereichern. 

 

Bescheiden ausgeprägte Sozialkompetenz ist sicher keine zwingende Voraussetzung, ein guter Journalist zu sein. Umgekehrt aber muss längst nicht jeder gute Journalist auch ein guter Teamplayer sein. Kluge Chefs wissen das – und verhindern zugunsten ihres Mediums, dass etwa die Newsroom-Mechanismen für ein Ausgrenzen oder gar Verdrängen der Solisten, Grummler und Nervensägen sorgt. 

 

Der interne Grund: Medienhäuser befinden sich in massiven Veränderungsprozessen – und gerade solche Umbrüche brauchen Check, Debatte – und Contras, die Kontra geben. Weitsichtige Chefs, die solche Prozesse managen, wollen Gegenwind und sorgen weise für Widerspruch. Den bekommt man eher von den Skeptikern – oder von Mitarbeitern, denen wenig daran liegt, mit ihrer Meinung möglichst viel Akzeptanz im Team zu haben. 

 

Ja, solche Mitarbeiter nerven und sind oft anstrengend. Aber Führungskräfte, die nur Leute um sich scharen oder an sich heranlassen, die sie mögen, dirigieren zwar ein perfekt eingespieltes Kammerensemble. Ein wuchtiges Philharmonie-Orchester aber werden sie so nie bekommen.

Ihr Christian Lindner

 

Der Mediencoach Christian Lindner schreibt in „kress pro“ die monatliche Kolumne „Personalfragen“. Der aktuelle Beitrag ist in der „kress pro“-Ausgabe 7/2020 erschienen.